Vermögende Ehegatten: Zum Vorliegen eines Härtefalls i.S.v. § 27 VersAusglG
BGH v. 31.1.2024 - XII ZB 259/23
Der Sachverhalt:
Das AG - Familiengericht - hat die 1986 geschlossene Ehe des Antragstellers (Ehemann) und der Antragsgegnerin (Ehefrau) geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Während der Ehezeit (Mai 1986 bis März 2020) erwarb der Ehemann ein Anrecht in der Ärzteversorgung bei der Beteiligten zu 1) i.H.v. einer Grundversorgung von mtl. rd. 3.500 € mit einem Ausgleichswert von rd. 1.800 € und korrespondierendem Kapitalwert von rd. 320.000 € sowie einer freiwilligen Zusatzversorgung mit einem Kapitalwert von rd. 10.000 € und einem Ausgleichswert von rd. 5.000 € Die Ehefrau erwarb in der Ärzteversorgung ein Anrecht von 18,9218 Steigerungszahlen, entsprechend einem mtl. Rentenanspruch von rd. 770 €, mit einem Ausgleichswert von 9,4609 Steigerungszahlen und einem korrespondierenden Kapitalwert von rd. 70.000 €. Darüber hinaus erwarb sie ein Anrecht i.H.v. mindestens 0,8236 Entgeltpunkten aus einem nicht vollständig geklärten Konto in der gesetzlichen Rentenversicherung, bei dem jedenfalls Kindererziehungszeiten bisher unberücksichtigt sind.
Das AG sah von einem Ausgleich der Anrechte nach § 27 VersAusglG ab, weil die Ehefrau gegen ihre Mitwirkungspflichten bei der Klärung ihres Rentenkontos verstoßen habe. Die Beschwerde der Ehefrau hatte vor dem OLG keinen Erfolg; zwischen den Ehegatten bestehe ein erhebliches wirtschaftliches Ungleichgewicht, welches den Versorgungsausgleich grob unbillig mache. Auf die Rechtsbeschwerde der Ehefrau hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Nach § 27 VersAusglG findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Dies ist nur der Fall, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen.
§ 27 VersAusglG setzt voraus, dass eine rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs im konkreten Fall dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, in unerträglicher Weise widersprechen muss. Aufgrund des Ausnahmecharakters von § 27 VersAusglG muss sich die grobe Unbilligkeit aus einer Gesamtabwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten ergeben.
Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist dies ist grundsätzlich erst dann der Fall, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den Versorgungsausgleich klar abzusehen ist, dass zum einen der auf Grundlage einer Vorsorgevermögensbilanz insgesamt ausgleichsberechtigte Ehegatte über so hohes Einkommen bzw. Vermögen verfügen wird, dass seine Altersversorgung voll abgesichert ist, während zum anderen der insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte auf die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zur Sicherung seines Unterhalts dringend angewiesen ist.
Demzufolge hätte das OLG das Vorliegen eines Härtefalls i.S.d. § 27 VersAusglG hier nicht annehmen dürfen. Zwar ist die Altersvorsorge der Ehefrau bereits aufgrund ihres vorhandenen Vermögens, der daraus zu erzielenden Einkünfte und ihrer selbst erworbenen Anrechte vollständig gesichert und ist sie nicht auf die Übertragung weiterer Anrechte durch den Ehemann als insgesamt ausgleichspflichtigen Ehegatten angewiesen. Es fehlt jedoch vorliegend an der Voraussetzung, dass der Ehemann auf die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zur Sicherung seines Unterhalts in einer Weise dringend angewiesen ist, die es rechtfertigt, von dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, abzuweichen.
Der Ehemann verfügt hier über ehezeitliche Versorgungsanrechte in der berufsständischen Versorgung, die auch nach der Teilung noch eine bei ihm verbleibende Versorgung oberhalb eines durchschnittlichen Renteneinkommens gewährleisten. Hinzu kommt der Erwerb von ehezeitlichen Anrechten der Ehefrau in der Ärzteversorgung und in der gesetzlichen Rentenversicherung durch den Versorgungsausgleich. Vermögenswerte sind festgestellt im Umfang einer Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von mindestens 60.000 € zzgl. eines möglicherweise realisierbaren Verkaufspreises für die derzeit noch betriebene Arztpraxis.
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Kommentierung | VersAusglG
§ 27 Beschränkung oder Wegfall des Versorgungsausgleichs
Norpoth/Sasse in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Rechtsprechung:
Beidseits verschwiegene Anrechte im Versorgungsausgleich
Bdb. OLG vom 05.07.2023 - 9 UF 166/22
Nils Thormeyer, FamRB 2024, 15
FAMRB0062385
Aktionsmodul Familienrecht:
Online-Unterhaltsrechner mit jeweils den aktuellen Werten der Düsseldorfer Tabelle. Top Inhalte online: FamRZ und FamRZ-Buchreihe von Gieseking, FamRB von Otto Schmidt, "Gerhardt" von Wolters Kluwer und vielen Standardwerken. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO: Für Fachanwälte mit Beiträgen zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!
BGH online
Das AG - Familiengericht - hat die 1986 geschlossene Ehe des Antragstellers (Ehemann) und der Antragsgegnerin (Ehefrau) geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Während der Ehezeit (Mai 1986 bis März 2020) erwarb der Ehemann ein Anrecht in der Ärzteversorgung bei der Beteiligten zu 1) i.H.v. einer Grundversorgung von mtl. rd. 3.500 € mit einem Ausgleichswert von rd. 1.800 € und korrespondierendem Kapitalwert von rd. 320.000 € sowie einer freiwilligen Zusatzversorgung mit einem Kapitalwert von rd. 10.000 € und einem Ausgleichswert von rd. 5.000 € Die Ehefrau erwarb in der Ärzteversorgung ein Anrecht von 18,9218 Steigerungszahlen, entsprechend einem mtl. Rentenanspruch von rd. 770 €, mit einem Ausgleichswert von 9,4609 Steigerungszahlen und einem korrespondierenden Kapitalwert von rd. 70.000 €. Darüber hinaus erwarb sie ein Anrecht i.H.v. mindestens 0,8236 Entgeltpunkten aus einem nicht vollständig geklärten Konto in der gesetzlichen Rentenversicherung, bei dem jedenfalls Kindererziehungszeiten bisher unberücksichtigt sind.
Das AG sah von einem Ausgleich der Anrechte nach § 27 VersAusglG ab, weil die Ehefrau gegen ihre Mitwirkungspflichten bei der Klärung ihres Rentenkontos verstoßen habe. Die Beschwerde der Ehefrau hatte vor dem OLG keinen Erfolg; zwischen den Ehegatten bestehe ein erhebliches wirtschaftliches Ungleichgewicht, welches den Versorgungsausgleich grob unbillig mache. Auf die Rechtsbeschwerde der Ehefrau hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Nach § 27 VersAusglG findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Dies ist nur der Fall, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen.
§ 27 VersAusglG setzt voraus, dass eine rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs im konkreten Fall dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, in unerträglicher Weise widersprechen muss. Aufgrund des Ausnahmecharakters von § 27 VersAusglG muss sich die grobe Unbilligkeit aus einer Gesamtabwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten ergeben.
Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist dies ist grundsätzlich erst dann der Fall, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den Versorgungsausgleich klar abzusehen ist, dass zum einen der auf Grundlage einer Vorsorgevermögensbilanz insgesamt ausgleichsberechtigte Ehegatte über so hohes Einkommen bzw. Vermögen verfügen wird, dass seine Altersversorgung voll abgesichert ist, während zum anderen der insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte auf die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zur Sicherung seines Unterhalts dringend angewiesen ist.
Demzufolge hätte das OLG das Vorliegen eines Härtefalls i.S.d. § 27 VersAusglG hier nicht annehmen dürfen. Zwar ist die Altersvorsorge der Ehefrau bereits aufgrund ihres vorhandenen Vermögens, der daraus zu erzielenden Einkünfte und ihrer selbst erworbenen Anrechte vollständig gesichert und ist sie nicht auf die Übertragung weiterer Anrechte durch den Ehemann als insgesamt ausgleichspflichtigen Ehegatten angewiesen. Es fehlt jedoch vorliegend an der Voraussetzung, dass der Ehemann auf die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zur Sicherung seines Unterhalts in einer Weise dringend angewiesen ist, die es rechtfertigt, von dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, abzuweichen.
Der Ehemann verfügt hier über ehezeitliche Versorgungsanrechte in der berufsständischen Versorgung, die auch nach der Teilung noch eine bei ihm verbleibende Versorgung oberhalb eines durchschnittlichen Renteneinkommens gewährleisten. Hinzu kommt der Erwerb von ehezeitlichen Anrechten der Ehefrau in der Ärzteversorgung und in der gesetzlichen Rentenversicherung durch den Versorgungsausgleich. Vermögenswerte sind festgestellt im Umfang einer Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von mindestens 60.000 € zzgl. eines möglicherweise realisierbaren Verkaufspreises für die derzeit noch betriebene Arztpraxis.
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§ 27 Beschränkung oder Wegfall des Versorgungsausgleichs
Norpoth/Sasse in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
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