25.10.2021

Vernarbungen der Maulwinkel - Rückabwicklung des Kaufvertrages über ein Dressurpferd

Vernarbungen im Bereich der Maulwinkel sprechen für sich genommen nicht für eine chronische Erkrankung. Es handelt sich um einen Befund, der aufgrund reiterlicher Einwirkung eintreten kann und keinen wahrscheinlichen Rückschluss auf eine Erkrankung bei Gefahrübergang zulässt. Die Vermutung des § 476 BGB ist mit der Art eines solchen Mangels unvereinbar.

OLG Frankfurt a.M. v. 14.9.2021 - 6 U 127/20
Der Sachverhalt:
Der Beklagte betreibt einen Zucht- und Ausbildungsstall für Reitpferde. Dort hat die Klägerin im Januar 2015 einen Hengst für 65.000 € gekauft. Sie hatte das ärztlich untersuchte Pferd zuvor besichtigt und reiterlich erprobt. Im April 2015 konsultierte die Klägerin eine Tierärztin wegen Problemen mit der sog. Anlehnung des Hengstes beim Beritt. Diese diagnostizierte einen offenen rechten Maulwinkel sowie ein Überbein der linken Lade. Zwei Jahre später brachte die Klägerin das Pferd dem Beklagten in Kommission zurück. Im Oktober 2017 trat sie vom Kaufvertrag zurück.

Die Klägerin behauptete, das Pferd habe bereits bei Übergabe ein Überbein der Lade sowie Vernarbungen in der Mundhöhle gehabt. Diese Vorerkrankungen seien der Grund für die Probleme bei der Anlehnung. Das LG hat die auf Rückabwicklung des Kaufvertrages und Schadensersatz gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb vor dem OLG erfolglos.

Die Gründe:
Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 440, 437 Nr. 2, 325, 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB in Höhe des Kaufpreises unter Anrechnung des selbst erzielten Erlöses und in Höhe weiterer Aufwendungen für Unterhalt, Tierarztkosten und Transport zu. Das Pferd ist im Zeitpunkt der Übergabe nicht mit einem Mangel i.S.d. §§ 434 Abs. 1, 90a BGB behaftet gewesen.

Die Parteien hatten keine besondere Beschaffenheitsvereinbarung etwa hinsichtlich der "Rittigkeit" oder der Geeignetheit für eine bestimmte Turnierklasse vereinbart. Es lag keine schriftliche Vereinbarung vor. Allein aus dem Umstand, dass der Beklagte das Pferd mit sportlichen Perspektiven angepriesen hatte, ließ sich nicht ableiten, dass er die Gewähr dafür übernehmen wollte, dass sich diese Perspektiven realisierten. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass Entwicklungsprognosen beim lebendigen Tier unsicher und letztlich spekulativ sind und der Verkäufer ohne ausdrückliche Absprache hierfür keine Gewähr übernimmt.

Es war auch nicht feststellbar, dass sich das Pferd bei Gefahrübergang für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung nicht geeignet hatte. Das Pferd war ein Dressurpferd und sollte bei Turnieren zum Einsatz kommen. Weitergehende Absprachen waren nicht getroffen worden. Der Verkäufer hat deshalb - lediglich - dafür einzustehen, dass es bei Gefahrübergang nicht krank war bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig erkranken konnte. Unter einem krankhaften Zustand ist dabei eine "klinische Erscheinung" zu verstehen. Nicht zur üblichen Beschaffenheit eines Tieres gehört dagegen, dass es in jeder Hinsicht einer biologischen oder physiologischen "Idealnorm" entspricht".

Tiere unterliegen als Lebewesen einer ständigen Entwicklung und sind mit individuellen Anlagen ausgestattet. Bloße Widersetzlichkeiten ("Rittigkeitsmängel") stellen daher regelmäßig keine Abweichung von der Sollbeschaffenheit dar. Das Pferd war im vorliegenden Fall weder krank noch aus anderen Gründen als Reit- und Dressurpferd schlechthin ungeeignet. Probleme mit der Anlehnung des Pferdes allein stellten keinen Mangel dar, da sie auch auf natürlichen Ursachen beruhen konnten.

Die später festgestellten Befunde in Form offener Mundwinkel, knöcherner Veränderungen an der linken Lade und einer Hautläsion im Bereich des Unterkiefers konnten zwar als Mangelerscheinungen angesehen werden. Nach den Ausführungen des Sachverständigen war jedoch davon auszugehen, dass diese Umstände noch nicht zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorhanden gewesen waren. Das Tier war am Tag der Übergabe untersucht worden, ohne dass die nunmehrigen Befunde festgestellt worden waren. Zudem hatte die Klägerin selbst noch mehr als zwei Jahre nach Vertragsschluss dem Beklagten mitgeteilt, dass sich das Pferd in Topform befinde.
LaReDa Hessen
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