Versendung der Rechtsmittelschrift per beA an das unzuständige Gericht
BGH v. 26.1.2023 - I ZB 42/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger begehrt von der Beklagten Maklervergütung. Das LG wies die Klage ab. Der Kläger legte gegen das ihm am 29.11.2021 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 28.12.2021, gerichtet an das LG, Berufung ein; dort ging der Schriftsatz am 28.12.2021 per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) um 18:50:24 Uhr ein. Das LG verfügte unter dem 30.12.2021 die Weiterleitung des Berufungsschriftsatzes an das Berufungsgericht (OLG), wo der Berufungsschriftsatz am 3.1.2022 einging. Mit Schriftsatz vom 11.1.2022, beim OLG am 12.1.2022 eingegangen, beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist.
Zur Begründung seines Antrags trug der Kläger vor, sein vormaliger Prozessbevollmächtigter habe seiner langjährigen und zuverlässigen Mitarbeiterin vor deren Urlaubsantritt den Auftrag erteilt, den Berufungsschriftsatz in der elektronischen Anwaltsakte zu erstellen und zu speichern. Kurz vor dem Urlaubsantritt der Mitarbeiterin habe der Prozessbevollmächtigte gemeinsam mit dieser eine Fristenkontrolle durchgeführt und einen als "Berufung" bezeichneten Schriftsatz in der elektronischen Akte des Klägers vorgefunden. Diesen habe sein Prozessbevollmächtigter sodann am 28.12.2021 per beA abgesandt. Zu der fehlerhaften Adressierung an das LG sei es gekommen, weil die Mitarbeiterin die Anweisung, den Berufungsschriftsatz selbst zu erstellen, nicht befolgt, sondern eine Auszubildende damit beauftragt habe. Bei der Kontrolle des Schriftsatzes habe die Mitarbeiterin dann übersehen, dass dieser fehlerhaft an das LG adressiert gewesen sei.
Sein Prozessbevollmächtigter habe darauf vertraut, dass der Schriftsatz korrekt an das OLG adressiert gewesen sei. Es überspannte die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts, wenn von ihm verlangt würde, alle Schriftsätze, die er über das beA mit seiner eigenen Kennung an die Gerichte übermittele, vor dem Absenden selbst noch einmal auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Berufungsschriftsatz sei zudem bei der zentralen Eingangsstelle des LG und des OLG eingegangen. Es existiere eine zentrale gemeinsame Briefannahmestelle der beiden Gerichte. Aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, hätte der Schriftsatz doch ohne weiteres am 29.12.2021, einem normalen Werktag, digital an das zuständige Rechtsmittelgericht weitergeleitet, ausgedruckt und vorgelegt werden können. Innerhalb der Justiz eine Postlaufzeit von drei Tagen anzunehmen, erscheine antiquiert und laufe dem Ziel des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs zuwider.
Das OLG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Eine Partei hat die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) versäumt, wenn die Berufungsschrift an das unzuständige LG adressiert war und bei dem Berufungsgericht, bei dem sie gem. § 519 Abs. 1 ZPO hätte eingereicht werden müssen, erst nach Fristablauf eingegangen ist. Hiervon ist das Berufungsgericht im Streitfall zutreffend ausgegangen. Das OLG hat mit Recht angenommen, dass die nicht fristwahrende Einlegung der Berufung beim LG auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers beruht und deshalb die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt sind.
Das OLG hat rechtsfehlerfrei ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers darin gesehen, dass dieser seine Büroangestellte mit der Anfertigung der Berufungsschrift beauftragt und sodann vor ihrer Absendung nicht selbst überprüft hat, ob darin das Rechtsmittelgericht zutreffend bezeichnet gewesen ist. So gewichtige Aufgaben wie die Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts darf auch gut geschultem und erfahrenem Personal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss die Rechtsmittelschrift deswegen vor der Unterzeichnung auf die Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts. Diese Grundsätze hat das OLG seiner Beurteilung zugrunde gelegt und ist dabei mit Recht davon ausgegangen, dass für die Einreichung von Schriftsätzen über das beA keine abweichenden Maßstäbe gelten.
Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Annahme des OLG, das Verschulden sei für die Versäumung der Berufungsfrist ursächlich geworden. Allerdings ist einer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sich das Verschulden einer Partei oder ihrer Verfahrensbevollmächtigten im Hinblick auf die unrichtige Bezeichnung des Gerichts bei der Versäumung der Rechtsmittelfrist nicht auswirkt, weil die Partei darauf vertrauen darf, dass der beim unzuständigen Gericht eingereichte Schriftsatz noch rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht weitergeleitet wird. Die Rechtsbeschwerde hat jedoch keine Umstände dargelegt und glaubhaft gemacht, die ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers auf eine rechtzeitige Weiterleitung der Berufungsschrift an das OLG rechtfertigen. Geht ein fristwahrender Schriftsatz über das beA erst einen Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim Rechtsmittelgericht geführt hat.
Mehr zum Thema:
Aufsatz:
Die berufsrechtlichen Pflichten des Rechtsanwalts bei der Nutzung des beA
Kevin Frank / Josefine Rogosik, MDR 2023, 606MDR0054858
Abrufbar im Aktionsmodul Zivilrecht:
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BGH online
Der Kläger begehrt von der Beklagten Maklervergütung. Das LG wies die Klage ab. Der Kläger legte gegen das ihm am 29.11.2021 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 28.12.2021, gerichtet an das LG, Berufung ein; dort ging der Schriftsatz am 28.12.2021 per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) um 18:50:24 Uhr ein. Das LG verfügte unter dem 30.12.2021 die Weiterleitung des Berufungsschriftsatzes an das Berufungsgericht (OLG), wo der Berufungsschriftsatz am 3.1.2022 einging. Mit Schriftsatz vom 11.1.2022, beim OLG am 12.1.2022 eingegangen, beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist.
Zur Begründung seines Antrags trug der Kläger vor, sein vormaliger Prozessbevollmächtigter habe seiner langjährigen und zuverlässigen Mitarbeiterin vor deren Urlaubsantritt den Auftrag erteilt, den Berufungsschriftsatz in der elektronischen Anwaltsakte zu erstellen und zu speichern. Kurz vor dem Urlaubsantritt der Mitarbeiterin habe der Prozessbevollmächtigte gemeinsam mit dieser eine Fristenkontrolle durchgeführt und einen als "Berufung" bezeichneten Schriftsatz in der elektronischen Akte des Klägers vorgefunden. Diesen habe sein Prozessbevollmächtigter sodann am 28.12.2021 per beA abgesandt. Zu der fehlerhaften Adressierung an das LG sei es gekommen, weil die Mitarbeiterin die Anweisung, den Berufungsschriftsatz selbst zu erstellen, nicht befolgt, sondern eine Auszubildende damit beauftragt habe. Bei der Kontrolle des Schriftsatzes habe die Mitarbeiterin dann übersehen, dass dieser fehlerhaft an das LG adressiert gewesen sei.
Sein Prozessbevollmächtigter habe darauf vertraut, dass der Schriftsatz korrekt an das OLG adressiert gewesen sei. Es überspannte die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts, wenn von ihm verlangt würde, alle Schriftsätze, die er über das beA mit seiner eigenen Kennung an die Gerichte übermittele, vor dem Absenden selbst noch einmal auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Berufungsschriftsatz sei zudem bei der zentralen Eingangsstelle des LG und des OLG eingegangen. Es existiere eine zentrale gemeinsame Briefannahmestelle der beiden Gerichte. Aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, hätte der Schriftsatz doch ohne weiteres am 29.12.2021, einem normalen Werktag, digital an das zuständige Rechtsmittelgericht weitergeleitet, ausgedruckt und vorgelegt werden können. Innerhalb der Justiz eine Postlaufzeit von drei Tagen anzunehmen, erscheine antiquiert und laufe dem Ziel des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs zuwider.
Das OLG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Eine Partei hat die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) versäumt, wenn die Berufungsschrift an das unzuständige LG adressiert war und bei dem Berufungsgericht, bei dem sie gem. § 519 Abs. 1 ZPO hätte eingereicht werden müssen, erst nach Fristablauf eingegangen ist. Hiervon ist das Berufungsgericht im Streitfall zutreffend ausgegangen. Das OLG hat mit Recht angenommen, dass die nicht fristwahrende Einlegung der Berufung beim LG auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers beruht und deshalb die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt sind.
Das OLG hat rechtsfehlerfrei ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers darin gesehen, dass dieser seine Büroangestellte mit der Anfertigung der Berufungsschrift beauftragt und sodann vor ihrer Absendung nicht selbst überprüft hat, ob darin das Rechtsmittelgericht zutreffend bezeichnet gewesen ist. So gewichtige Aufgaben wie die Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts darf auch gut geschultem und erfahrenem Personal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss die Rechtsmittelschrift deswegen vor der Unterzeichnung auf die Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts. Diese Grundsätze hat das OLG seiner Beurteilung zugrunde gelegt und ist dabei mit Recht davon ausgegangen, dass für die Einreichung von Schriftsätzen über das beA keine abweichenden Maßstäbe gelten.
Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Annahme des OLG, das Verschulden sei für die Versäumung der Berufungsfrist ursächlich geworden. Allerdings ist einer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sich das Verschulden einer Partei oder ihrer Verfahrensbevollmächtigten im Hinblick auf die unrichtige Bezeichnung des Gerichts bei der Versäumung der Rechtsmittelfrist nicht auswirkt, weil die Partei darauf vertrauen darf, dass der beim unzuständigen Gericht eingereichte Schriftsatz noch rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht weitergeleitet wird. Die Rechtsbeschwerde hat jedoch keine Umstände dargelegt und glaubhaft gemacht, die ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers auf eine rechtzeitige Weiterleitung der Berufungsschrift an das OLG rechtfertigen. Geht ein fristwahrender Schriftsatz über das beA erst einen Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim Rechtsmittelgericht geführt hat.
Aufsatz:
Die berufsrechtlichen Pflichten des Rechtsanwalts bei der Nutzung des beA
Kevin Frank / Josefine Rogosik, MDR 2023, 606MDR0054858
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