Vertretungsbefugnis des Elternteils hinsichtlich des gegen den anderen Elternteil gerichteten Unterhaltsteilanspruchs
BGH v. 10.4.2024 - XII ZB 459/23
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten um Kindesunterhalt für die im Juli 2012 und Oktober 2015 geborenen Antragsteller. Deren nicht miteinander verheiratete Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt. Zum Umgang mit den Kindern trafen sie im April 2022 eine Regelung, nach der die Betreuung an den Wochenenden und in den Schulferien hälftig aufgeteilt wird. Im Übrigen sollten die Kinder - abhängig vom Dienstplan des Vaters - an sieben Tagen im Monat (jeweils beginnend mit dem Vorabend ab 18 Uhr) von der Mutter betreut werden. Ansonsten sollten sie beim Vater leben.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsteller sich in der Obhut des Vaters befinden oder ein Wechselmodell vorliegt. Der Vater hat im Namen der Kinder beantragt, die Antragsgegnerin zur Zahlung laufenden und rückständigen Unterhalts für die Zeit ab Juni 2022 an die Antragsteller sowie zur Zustimmung zur Auszahlung des hälftigen Kindergelds an ihn für die Zeit von Juni bis Oktober 2022 zu verpflichten.
Das AG wies die Anträge als unzulässig ab, weil dem Vater die Vertretungsbefugnis für die Kinder fehle. Dagegen hat der Vater im Namen der Kinder Beschwerde eingelegt. Das OLG wies die Beschwerde zurück, da die Antragsteller durch ihren Vater nicht wirksam hätten vertreten werden können. Die Vertretungsbefugnis nach § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB setze voraus, dass sich die Kinder in der Obhut des Vaters befänden. Das sei vorliegend nicht der Fall, weil nicht von einem Betreuungsschwerpunkt beim Vater ausgegangen werden könne. Dazu genüge es zwar, dass bei einem Elternteil ein eindeutig feststellbares, aber nicht notwendigerweise großes Übergewicht bei der tatsächlichen Fürsorge vorliege. Es sei bisher aber nicht ausreichend geklärt, ob trotz eines geringen Übergewichts eines Elternteils, also bei Betreuungsanteilen zwischen 45 % und 55 %, von einem Wechselmodell im unterhaltsrechtlichen Sinne auszugehen sei, so dass eine Vertretungsbefugnis nach § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB ausscheide. Im vorliegenden Fall schließe ein Anteil von durchschnittlich 15 Übernachtungen im Monat einen Betreuungsschwerpunkt beim Vater aus.
Die Rechtsbeschwerde vor dem BGH hatte Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist der Vater befugt, die Antragsteller im vorliegenden Verfahren zu vertreten. Es kommt im Ergebnis nicht darauf an, ob die Kinder sich in der Obhut des Vaters befinden oder im Wechselmodell betreut werden. Da der Vater in beiden Fällen gleichermaßen vertretungsbefugt ist, besteht insoweit kein Zulässigkeitshindernis und kommt es mithin im vorliegenden Fall für die gesetzliche Vertretung der Antragsteller auf die vom Beschwerdegericht aufgeworfene Frage der Abgrenzung des Wechselmodells vom Residenzmodell mit alleiniger Obhut eines Elternteils im Ergebnis nicht an.
Allein aus dem Ausschluss eines Elternteils von der (gemeinsamen) elterlichen Sorge für die Geltendmachung von Kindesunterhalt für ein minderjähriges Kind folgt bei nicht miteinander verheirateten Eltern noch nicht, dass auch der andere Elternteil von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen ist.
Fehlt es - vor allem im Fall eines von den Eltern praktizierten Wechselmodells - an der alleinigen Obhut eines Elternteils, so steht die Vertretungsmacht entsprechend der neueren Rechtsprechung des Senats beiden (nicht miteinander verheirateten) Eltern zu. Jeder Elternteil kann in diesem Fall den Unterhaltsanspruch des Kindes, soweit dieser nach § 1606 BGB gegen den anderen Elternteil gerichtet ist, als gesetzlicher Vertreter des Kindes geltend machen. Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Senats (BGH v. 21.12.2005 - XII ZR 126/03 - FamRZ 2006, 1015; BGH v. 12.3.2014 - XII ZB 234/13 - FamRZ 2014, 917 Rn. 16 mwN) ist dann weder die Bestellung eines Ergänzungspflegers noch die teilweise Übertragung des Sorgerechts nach § 1628 BGB erforderlich.
Nach diesen Maßstäben ist der Vater im vorliegenden Verfahren entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts vertretungsbefugt.
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BGH online
Die Beteiligten streiten um Kindesunterhalt für die im Juli 2012 und Oktober 2015 geborenen Antragsteller. Deren nicht miteinander verheiratete Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt. Zum Umgang mit den Kindern trafen sie im April 2022 eine Regelung, nach der die Betreuung an den Wochenenden und in den Schulferien hälftig aufgeteilt wird. Im Übrigen sollten die Kinder - abhängig vom Dienstplan des Vaters - an sieben Tagen im Monat (jeweils beginnend mit dem Vorabend ab 18 Uhr) von der Mutter betreut werden. Ansonsten sollten sie beim Vater leben.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsteller sich in der Obhut des Vaters befinden oder ein Wechselmodell vorliegt. Der Vater hat im Namen der Kinder beantragt, die Antragsgegnerin zur Zahlung laufenden und rückständigen Unterhalts für die Zeit ab Juni 2022 an die Antragsteller sowie zur Zustimmung zur Auszahlung des hälftigen Kindergelds an ihn für die Zeit von Juni bis Oktober 2022 zu verpflichten.
Das AG wies die Anträge als unzulässig ab, weil dem Vater die Vertretungsbefugnis für die Kinder fehle. Dagegen hat der Vater im Namen der Kinder Beschwerde eingelegt. Das OLG wies die Beschwerde zurück, da die Antragsteller durch ihren Vater nicht wirksam hätten vertreten werden können. Die Vertretungsbefugnis nach § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB setze voraus, dass sich die Kinder in der Obhut des Vaters befänden. Das sei vorliegend nicht der Fall, weil nicht von einem Betreuungsschwerpunkt beim Vater ausgegangen werden könne. Dazu genüge es zwar, dass bei einem Elternteil ein eindeutig feststellbares, aber nicht notwendigerweise großes Übergewicht bei der tatsächlichen Fürsorge vorliege. Es sei bisher aber nicht ausreichend geklärt, ob trotz eines geringen Übergewichts eines Elternteils, also bei Betreuungsanteilen zwischen 45 % und 55 %, von einem Wechselmodell im unterhaltsrechtlichen Sinne auszugehen sei, so dass eine Vertretungsbefugnis nach § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB ausscheide. Im vorliegenden Fall schließe ein Anteil von durchschnittlich 15 Übernachtungen im Monat einen Betreuungsschwerpunkt beim Vater aus.
Die Rechtsbeschwerde vor dem BGH hatte Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist der Vater befugt, die Antragsteller im vorliegenden Verfahren zu vertreten. Es kommt im Ergebnis nicht darauf an, ob die Kinder sich in der Obhut des Vaters befinden oder im Wechselmodell betreut werden. Da der Vater in beiden Fällen gleichermaßen vertretungsbefugt ist, besteht insoweit kein Zulässigkeitshindernis und kommt es mithin im vorliegenden Fall für die gesetzliche Vertretung der Antragsteller auf die vom Beschwerdegericht aufgeworfene Frage der Abgrenzung des Wechselmodells vom Residenzmodell mit alleiniger Obhut eines Elternteils im Ergebnis nicht an.
Allein aus dem Ausschluss eines Elternteils von der (gemeinsamen) elterlichen Sorge für die Geltendmachung von Kindesunterhalt für ein minderjähriges Kind folgt bei nicht miteinander verheirateten Eltern noch nicht, dass auch der andere Elternteil von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen ist.
Fehlt es - vor allem im Fall eines von den Eltern praktizierten Wechselmodells - an der alleinigen Obhut eines Elternteils, so steht die Vertretungsmacht entsprechend der neueren Rechtsprechung des Senats beiden (nicht miteinander verheirateten) Eltern zu. Jeder Elternteil kann in diesem Fall den Unterhaltsanspruch des Kindes, soweit dieser nach § 1606 BGB gegen den anderen Elternteil gerichtet ist, als gesetzlicher Vertreter des Kindes geltend machen. Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Senats (BGH v. 21.12.2005 - XII ZR 126/03 - FamRZ 2006, 1015; BGH v. 12.3.2014 - XII ZB 234/13 - FamRZ 2014, 917 Rn. 16 mwN) ist dann weder die Bestellung eines Ergänzungspflegers noch die teilweise Übertragung des Sorgerechts nach § 1628 BGB erforderlich.
Nach diesen Maßstäben ist der Vater im vorliegenden Verfahren entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts vertretungsbefugt.
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