Vorübergehende Störung des beA-Servers: Wie muss der Anwalt zur Ersatzeinreichung per Telefax vortragen?
BGH v. 19.12.2024 - IX ZB 41/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagte aus Insolvenzanfechtung auf Zahlung von ca. 860.000 € in Anspruch. Das LG wies die Klage ab. Der Kläger legte gegen das Urteil Berufung ein. Die Berufungsbegründungsfrist wurde vom Berufungsgericht antragsgemäß bis zum 14.2.2023 verlängert.
Der Kläger hat die Berufungsbegründung, mit der er sein erstinstanzliches Klagebegehren sinngemäß weiterverfolgt, am 14.2.2023 um 13:57 Uhr per Telefax eingereicht. Zur Begründung der Einreichung per Telefax hat der anwaltliche Vertreter mit der Berufungsbegründung beigefügtem Telefaxschreiben erklärt: "... sind wir leider gehalten, die Berufungsbegründung gemäß § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO per Telefax einzulegen, da der beA-Server leider nicht erreichbar ist (siehe Anlagen). Dies versichere ich hiermit an Eides statt." Ausweislich der beigefügten Anlagen bestand beim besonderen elektronischen Anwaltspostfach am 14.2.2023 seit ungefähr 10:20 Uhr eine Störung bei der Adressbuchsuche, so dass ein Versenden von Nachrichten nicht möglich war.
Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Klägers als unzulässig. Den Anlagen sei nicht zu entnehmen, dass in einem zeitlichen Zusammenhang zu der um 13:57 Uhr begonnenen Übermittlung der Unterlagen tatsächlich eine vorübergehende technische Störung bestanden habe. Ohne eine zeitnah vor oder bei der Ersatzeinreichung bestehende technische Störung fehle es an dem für die Anwendung des § 130d Satz 2 ZPO nach Wortlaut und Zwecksetzung der Vorschrift erforderlichen Zusammenhang, nach dem der Umstand, dass eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich sei, den Grund dafür bilden müsse, dass die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig bleibe. Die Anlage von beA.expert biete keine Anhaltspunkte dafür, dass die ab ca. 10:20 Uhr aufgetretene Störung noch über den Zeitpunkt der Statusangabe um 12:13 Uhr hinaus fortbestanden habe. Auch aus der eidesstattlichen Versicherung sei nicht ersichtlich, dass im zeitlichen Zusammenhang mit der Übermittlung von ihr und der Berufungsbegründung noch ein Versuch einer Übermittlung als elektronisches Dokument unternommen worden sei. Es sei daher nicht glaubhaft gemacht, dass die Störung nach 12:13 Uhr bis zur Einreichung fortbestanden habe.
Der BGH hat dem Kläger Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Gründe:
Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe glaubhaft machen müssen, dass die Unmöglichkeit zeitnah vor oder bei der Ersatzeinreichung bestanden habe, überspannt die Anforderungen an die vorübergehende Unmöglichkeit. § 130d Satz 2 ZPO stellt auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Nur hierzu ist vorzutragen. Weiterer Vortrag ist nicht erforderlich.
Vorliegend hat der Kläger unter Vorlage von um 12:13 Uhr erstellten Unterlagen geltend gemacht, eine Einreichung der Berufungsbegründung als elektronisches Dokument sei unmöglich. Deshalb hat er um 13:57 Uhr die Berufungsbegründung als Telefax und damit nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 129, 130 Nr. 6 ZPO) eingereicht.
Im Streitfall hat der anwaltliche Vertreter des Klägers die Ersatzeinreichung damit begründet, dass der Server des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs nicht erreichbar sei. Er hat dabei Bezug genommen auf ein um 12:13 Uhr abgerufenes Verzeichnis von Störungsmeldungen durch beA.expert. Zu diesem Zeitpunkt war die Ersatzeinreichung veranlasst. Zu Vortrag hinsichtlich einer fortdauernden Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments für den Zeitraum bis 13:57 Uhr war der Kläger vor diesem Hintergrund nicht gehalten.
Der Kläger hat darüber hinaus glaubhaft gemacht, dass eine vorübergehende Unmöglichkeit der Einreichung vorlag. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an eine Ersatzeinreichung auch insoweit überspannt, als es zur Darlegung einer vorübergehenden Störung - in Abgrenzung zu einer punktuellen technischen Störung - einen mindestens zweimaligen Versuch der Übermittlung als elektronisches Dokument verlangt. Auch diese Anforderung findet in der gesetzlichen Regelung keine Grundlage.
Glaubhaft zu machen ist eine vorübergehende Unmöglichkeit der Einreichung nach § 130d Satz 2 ZPO. Diese liegt jedenfalls dann vor, wenn eine elektronische Übersendung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht möglich und nicht abzusehen ist, wann die Störung behoben sein wird. Einer anwaltlichen Versicherung des Scheiterns einer oder mehrerer solcher Übermittlungen bedarf es hierfür nicht zwingend. Es bedarf ihrer insbesondere dann nicht, wenn sich aus einer Meldung auf den Internetseiten der Bundesrechtsanwaltskammer - der Betreiberin des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (§ 31a BRAO) -, des elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs oder aus einer anderen zuverlässigen Quelle ergibt, dass der betreffende Empfangsserver nicht zu erreichen ist, und nicht angegeben ist, bis wann die Störung behoben sein wird.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
BeA: Ersatzeinreichung bei gerichtsbekannter technischer Störung
OLG Düsseldorf vom 18.04.2024 - 2 U 59/23
MDR 2024, 1069
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Der Kläger nimmt die Beklagte aus Insolvenzanfechtung auf Zahlung von ca. 860.000 € in Anspruch. Das LG wies die Klage ab. Der Kläger legte gegen das Urteil Berufung ein. Die Berufungsbegründungsfrist wurde vom Berufungsgericht antragsgemäß bis zum 14.2.2023 verlängert.
Der Kläger hat die Berufungsbegründung, mit der er sein erstinstanzliches Klagebegehren sinngemäß weiterverfolgt, am 14.2.2023 um 13:57 Uhr per Telefax eingereicht. Zur Begründung der Einreichung per Telefax hat der anwaltliche Vertreter mit der Berufungsbegründung beigefügtem Telefaxschreiben erklärt: "... sind wir leider gehalten, die Berufungsbegründung gemäß § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO per Telefax einzulegen, da der beA-Server leider nicht erreichbar ist (siehe Anlagen). Dies versichere ich hiermit an Eides statt." Ausweislich der beigefügten Anlagen bestand beim besonderen elektronischen Anwaltspostfach am 14.2.2023 seit ungefähr 10:20 Uhr eine Störung bei der Adressbuchsuche, so dass ein Versenden von Nachrichten nicht möglich war.
Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Klägers als unzulässig. Den Anlagen sei nicht zu entnehmen, dass in einem zeitlichen Zusammenhang zu der um 13:57 Uhr begonnenen Übermittlung der Unterlagen tatsächlich eine vorübergehende technische Störung bestanden habe. Ohne eine zeitnah vor oder bei der Ersatzeinreichung bestehende technische Störung fehle es an dem für die Anwendung des § 130d Satz 2 ZPO nach Wortlaut und Zwecksetzung der Vorschrift erforderlichen Zusammenhang, nach dem der Umstand, dass eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich sei, den Grund dafür bilden müsse, dass die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig bleibe. Die Anlage von beA.expert biete keine Anhaltspunkte dafür, dass die ab ca. 10:20 Uhr aufgetretene Störung noch über den Zeitpunkt der Statusangabe um 12:13 Uhr hinaus fortbestanden habe. Auch aus der eidesstattlichen Versicherung sei nicht ersichtlich, dass im zeitlichen Zusammenhang mit der Übermittlung von ihr und der Berufungsbegründung noch ein Versuch einer Übermittlung als elektronisches Dokument unternommen worden sei. Es sei daher nicht glaubhaft gemacht, dass die Störung nach 12:13 Uhr bis zur Einreichung fortbestanden habe.
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Die Gründe:
Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe glaubhaft machen müssen, dass die Unmöglichkeit zeitnah vor oder bei der Ersatzeinreichung bestanden habe, überspannt die Anforderungen an die vorübergehende Unmöglichkeit. § 130d Satz 2 ZPO stellt auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Nur hierzu ist vorzutragen. Weiterer Vortrag ist nicht erforderlich.
Vorliegend hat der Kläger unter Vorlage von um 12:13 Uhr erstellten Unterlagen geltend gemacht, eine Einreichung der Berufungsbegründung als elektronisches Dokument sei unmöglich. Deshalb hat er um 13:57 Uhr die Berufungsbegründung als Telefax und damit nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 129, 130 Nr. 6 ZPO) eingereicht.
Im Streitfall hat der anwaltliche Vertreter des Klägers die Ersatzeinreichung damit begründet, dass der Server des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs nicht erreichbar sei. Er hat dabei Bezug genommen auf ein um 12:13 Uhr abgerufenes Verzeichnis von Störungsmeldungen durch beA.expert. Zu diesem Zeitpunkt war die Ersatzeinreichung veranlasst. Zu Vortrag hinsichtlich einer fortdauernden Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments für den Zeitraum bis 13:57 Uhr war der Kläger vor diesem Hintergrund nicht gehalten.
Der Kläger hat darüber hinaus glaubhaft gemacht, dass eine vorübergehende Unmöglichkeit der Einreichung vorlag. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an eine Ersatzeinreichung auch insoweit überspannt, als es zur Darlegung einer vorübergehenden Störung - in Abgrenzung zu einer punktuellen technischen Störung - einen mindestens zweimaligen Versuch der Übermittlung als elektronisches Dokument verlangt. Auch diese Anforderung findet in der gesetzlichen Regelung keine Grundlage.
Glaubhaft zu machen ist eine vorübergehende Unmöglichkeit der Einreichung nach § 130d Satz 2 ZPO. Diese liegt jedenfalls dann vor, wenn eine elektronische Übersendung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht möglich und nicht abzusehen ist, wann die Störung behoben sein wird. Einer anwaltlichen Versicherung des Scheiterns einer oder mehrerer solcher Übermittlungen bedarf es hierfür nicht zwingend. Es bedarf ihrer insbesondere dann nicht, wenn sich aus einer Meldung auf den Internetseiten der Bundesrechtsanwaltskammer - der Betreiberin des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (§ 31a BRAO) -, des elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs oder aus einer anderen zuverlässigen Quelle ergibt, dass der betreffende Empfangsserver nicht zu erreichen ist, und nicht angegeben ist, bis wann die Störung behoben sein wird.
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