Wann gilt die typische Tiergefahr bei einem Hund als realisiert?
LG Nürnberg-Fürth v. 22.8.2024, 8 O 6921/23
Der Sachverhalt:
Am 31.12.2020 war der damals 60-jährige K. gegen Mittag mit seinem Fahrrad auf einem Bewirtschaftungsweg am Main-Donau-Kanal unterwegs. Dabei führte er seinen Hund ("Balu"), einen 7-jährigen Rhodesian Ridgeback, an der Leine neben sich. Sie stießen auf eine Gruppe, bestehend aus dem Beklagten, dessen Ehefrau C. und deren Nachbarin H., die zu Fuß den Hund des Beklagten, einen 12 Jahre alten Australian Shepherd-Mischlingsrüden ("Sammy"), sowie einen kleineren Hund der H. ausführten. Als die Gruppe des Beklagten den K. in der Annäherung bemerkt hatte, blieb man mit den beiden Hunden stehen. Der Australian Shepherd-Hund befand sich dabei an der Leine. Der K. beabsichtigte, an der Gruppe langsam vorbeizufahren. Als er sich etwa auf Höhe der Gruppe befand, stürzte er. Infolge des Sturzes verletzte er sich erheblich, so erlitt er u.a. einen Trümmerbruch.
Der K. behauptete später, dass der Hund des Beklagten nach vorne geschnellt sei, offensichtlich mit dem Ziel, ihn anzugreifen. Der Hund sei fast bis zum Fahrrad gesprungen, habe extrem aggressiv gebellt, geknurrt und die Zähne gefletscht. Er sei dadurch so stark erschreckt, dass er mit dem Rad ins Schlingern geraten und schließlich gestürzt sei. Sein eigener Hund habe bei dem Sturz keine relevante Rolle gespielt. Der Beklagte behauptete, dass es zwischen den Hunden keinerlei Kontakt gegeben habe. Zum Sturz sei es gekommen, da der Hund des K., ohne ersichtlichen Grund um das Vorderrad des Fahrrads herumgelaufen sei und den K. dabei vom Rad gerissen habe.
Der K. ist im Laufe des Verfahrens verstorben. Infolgedessen verlangte seine Frau, die Witwe, u.a. Schmerzensgeld i.H.v. 25.000 € vom Beklagten. Das LG wies die Klage ab.
Die Gründe:
Der Klagepartei ist es nicht gelungen, zur Überzeugung des Gerichts den Beweis zu führen, dass der Unfall auf der vom Beklagten-Hund ausgehenden typischen Tiergefahr beruhte. Eine Haftung gem. § 833 BGB schied daher aus.
Für das Gericht stand somit fest, dass der Sturz des K. aufgrund eines Richtungswechsels des überaus großen und kräftigen Ridgeback-Rüden ausgelöst worden war. Der Beklagten-Hund hatte hierfür keinerlei Ursache gesetzt. Zum Zeitpunkt des Sturzes stand oder saß er in einem deutlichen Abstand von jedenfalls mehreren Metern zum vorbeifahrenden K. zwischen Wirtschaftsweg und Main-Donau-Kanal angeleint bei der Zeugin C. Weder während der Annäherung noch während der Vorbeifahrt hatte er geknurrt oder gebellt.
Nur am Rande sei erwähnt, dass das Gericht nicht davon ausgegangen ist, dass der K., bei dem es sich immerhin um einen Polizeibeamten im Ruhestand handelte, bewusst die Unwahrheit geschildert hatte. Das Unfallgeschehen stellte neben den schweren physischen Folgen offensichtlich auch eine große psychische Belastung für ihn dar. In diesem Zusammenhang war es gut möglich, dass eine Divergenz zwischen dem wirklichen Geschehen und den abgespeicherten Erinnerungen bestand. Infolgedessen genügte der Umstand, dass der Beklagten-Hund zum Unfallzeitpunkt in der Nähe des Unfallortes anwesend war, nicht, um eine Haftung des Beklagten zu begründen.
Der Wortlaut von § 833 S. 1 BGB verlangt die Verursachung einer Rechtsgutsverletzung "durch ein Tier" und damit mehr als bloße Kausalität, nämlich die Realisierung der spezifischen Tiergefahr. Als entscheidendes Haftungskriterium wird höchstrichterlich die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens identifiziert. Danach äußert sich eine typische Tiergefahr in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres. Der Umstand, dass der Beklagten-Hund in der Nähe des Unfallortes physisch anwesend war, genügte somit nicht, um die Haftungsvoraussetzung zu erfüllen. Damit wurde die von ihm grundsätzlich ausgehenden typische Tiergefahr noch nicht realisiert.
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Bayern.Recht
Am 31.12.2020 war der damals 60-jährige K. gegen Mittag mit seinem Fahrrad auf einem Bewirtschaftungsweg am Main-Donau-Kanal unterwegs. Dabei führte er seinen Hund ("Balu"), einen 7-jährigen Rhodesian Ridgeback, an der Leine neben sich. Sie stießen auf eine Gruppe, bestehend aus dem Beklagten, dessen Ehefrau C. und deren Nachbarin H., die zu Fuß den Hund des Beklagten, einen 12 Jahre alten Australian Shepherd-Mischlingsrüden ("Sammy"), sowie einen kleineren Hund der H. ausführten. Als die Gruppe des Beklagten den K. in der Annäherung bemerkt hatte, blieb man mit den beiden Hunden stehen. Der Australian Shepherd-Hund befand sich dabei an der Leine. Der K. beabsichtigte, an der Gruppe langsam vorbeizufahren. Als er sich etwa auf Höhe der Gruppe befand, stürzte er. Infolge des Sturzes verletzte er sich erheblich, so erlitt er u.a. einen Trümmerbruch.
Der K. behauptete später, dass der Hund des Beklagten nach vorne geschnellt sei, offensichtlich mit dem Ziel, ihn anzugreifen. Der Hund sei fast bis zum Fahrrad gesprungen, habe extrem aggressiv gebellt, geknurrt und die Zähne gefletscht. Er sei dadurch so stark erschreckt, dass er mit dem Rad ins Schlingern geraten und schließlich gestürzt sei. Sein eigener Hund habe bei dem Sturz keine relevante Rolle gespielt. Der Beklagte behauptete, dass es zwischen den Hunden keinerlei Kontakt gegeben habe. Zum Sturz sei es gekommen, da der Hund des K., ohne ersichtlichen Grund um das Vorderrad des Fahrrads herumgelaufen sei und den K. dabei vom Rad gerissen habe.
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Für das Gericht stand somit fest, dass der Sturz des K. aufgrund eines Richtungswechsels des überaus großen und kräftigen Ridgeback-Rüden ausgelöst worden war. Der Beklagten-Hund hatte hierfür keinerlei Ursache gesetzt. Zum Zeitpunkt des Sturzes stand oder saß er in einem deutlichen Abstand von jedenfalls mehreren Metern zum vorbeifahrenden K. zwischen Wirtschaftsweg und Main-Donau-Kanal angeleint bei der Zeugin C. Weder während der Annäherung noch während der Vorbeifahrt hatte er geknurrt oder gebellt.
Nur am Rande sei erwähnt, dass das Gericht nicht davon ausgegangen ist, dass der K., bei dem es sich immerhin um einen Polizeibeamten im Ruhestand handelte, bewusst die Unwahrheit geschildert hatte. Das Unfallgeschehen stellte neben den schweren physischen Folgen offensichtlich auch eine große psychische Belastung für ihn dar. In diesem Zusammenhang war es gut möglich, dass eine Divergenz zwischen dem wirklichen Geschehen und den abgespeicherten Erinnerungen bestand. Infolgedessen genügte der Umstand, dass der Beklagten-Hund zum Unfallzeitpunkt in der Nähe des Unfallortes anwesend war, nicht, um eine Haftung des Beklagten zu begründen.
Der Wortlaut von § 833 S. 1 BGB verlangt die Verursachung einer Rechtsgutsverletzung "durch ein Tier" und damit mehr als bloße Kausalität, nämlich die Realisierung der spezifischen Tiergefahr. Als entscheidendes Haftungskriterium wird höchstrichterlich die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens identifiziert. Danach äußert sich eine typische Tiergefahr in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres. Der Umstand, dass der Beklagten-Hund in der Nähe des Unfallortes physisch anwesend war, genügte somit nicht, um die Haftungsvoraussetzung zu erfüllen. Damit wurde die von ihm grundsätzlich ausgehenden typische Tiergefahr noch nicht realisiert.
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