Wann ist ein Erbschein unrichtig?
OLG Hamm v. 18.7.2024 - 10 W 12/24
Der Sachverhalt:
Der Beteiligte zu 1) war der Ehemann, die Beteiligten zu 2) und 3) die Brüder und die übrigen Beteiligten Neffen und Nichten der Erblasserin. Die Beteiligten zu 1) - 3) hatten zunächst die Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge beantragt, der für den Beteiligten zu 1) eine Erbquote von ¾, für die Beteiligten zu 2) und 3) eine Erbquote von jeweils 1/16 und für die übrigen Beteiligten Erbquoten von jeweils 1/48 Anteil ausweisen sollte.
Nachdem der Rechtspfleger durch Verfügung vom 4.11.2021 darauf hingewiesen hatte, dass bei der in Jamaika geschlossenen Ehe zwischen der Erblasserin und dem aus Jamaika stammenden Beteiligten zu 1) nicht ersichtlich sei, dass das deutsche Güterrecht Anwendung finde, stellte der Beteiligte zu 2) am 6.12.2021 einen abgeänderten Erbscheinsantrag. Der daraufhin am 14.12.2021 antragsgemäß von dem Rechtspfleger erlassene Erbschein wies den Beteiligten zu 1) als Miterben zu ½, die Beteiligten zu 2) und 3) als Mitererben zu je 1/8 und die Beteiligten zu 4) - 9) als Miterben zu je 1/24 Anteil aus.
Am 4.4.2023 regte der Beteiligte zu 1) die Einziehung des Erbscheins an. Er war der Ansicht, dieser sei unrichtig, weil seine Erbquote nicht ½, sondern ¾ betrage. Obwohl seine Ehe mit der Erblasserin in Jamaika geschlossen worden sei, gelte das deutsche Ehestatut. Danach hätten die Eheleute im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt, so dass §§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB anzuwenden seien. Hiergegen wandten sich die die übrigen Beteiligten. Sie behaupteten, es habe keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Eheleute in Deutschland gegeben. Es sei deshalb an den Ort der Eheschließung, mithin Jamaika, anzuknüpfen.
Das AG hat die Einziehung des Erbscheins abgelehnt. Zur Begründung hat der Rechtspfleger ausgeführt, der Erbschein sei nicht unrichtig, da die richtige Erbquote des Erblassers ausgewiesen sei. Das deutsche Ehegüterrecht sei nicht anwendbar, da der Ort der Eheschließung maßgeblich sei. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) hat das OLG den Beschluss aufgehoben und das Nachlassgericht angewiesen, den Erbschein vom 14.12.2021 einzuziehen.
Die Gründe:
Beruht der Erbschein auf erheblichen Verfahrensverstößen im Erbscheinerteilungsverfahren, ist er formell rechtsunwirksam und deshalb einzuziehen. Die Vorschrift des § 2361 BGB ist dazu analog anzuwenden, denn das Rechtsstaatsprinzip gebietet es, dass ein Erbschein, der unter Verstoß gegen elementare Verfahrensregeln erlassen wurde, von Amts wegen wieder aus dem Rechtsverkehr gezogen wird.
Ein einziehungsrelevanter Verfahrensverstoß folgte hier daraus, dass der Rechtspfleger den Erbschein erteilt hatte. Ein Erbschein ist grundsätzlich i.S.d. § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB unrichtig, wenn er von einem unzuständigen Rechtspflegeorgan (Rechtspfleger statt Richter) erteilt wurde. Der Rechtspfleger war hier für die Erteilung des Erbscheins nicht zuständig. Zwar sind dem Rechtspfleger gem. § 3 Nr. 2 c) RPflG auch die Nachlasssachen nach § 342 Abs. 1, 2 Nr. 2 FamFG übertragen, wozu gem. § 342 Abs. 1 Nr. 6 auch die Erteilung von Erbscheinen gehört. Diese Übertragung erfolgt jedoch gem. § 3 Nr. 2 RPflG vorbehaltlich der in den §§ 14 bis 19 b des RPflG aufgeführten Ausnahmen. Und hier griff der Richtervorbehalt gem. § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG. Danach ist der Richter anstelle des Rechtspflegers u.a. dann funktional zuständig, wenn die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht kommt. Wie schon aus dem angefochtenen Beschluss hervorging, war das hier der Fall.
Zwar richtete sich die Erbfolge aufgrund des Art. 21 Abs. 1 EuErbVO nach deutschem Recht, weil die Erblasserin in Deutschland im Zeitpunkt ihres Todes ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Rahmen der Feststellung der gesetzlichen Erbfolge und der Erbquoten der Beteiligten kam bezüglich des Güterrechts der im Jahr 2010 in Jamaika geschlossenen Ehe die Anwendung jedoch ausländischen Erbrechts in Betracht, denn Art. 1 Abs. 2 lit. d EuErbVO nimmt Fragen des ehelichen Güterrechts ausdrücklich von dem Anwendungsbereich der Verordnung aus. Wie der Rechtspfleger in dem angefochtenen Beschluss nachvollziehbar ausgeführt hatte, kam danach in Betracht, dass sich das eheliche Güterrecht nach dem jamaikanischen Marriage Act, mithin ausländischem Recht, richtete.
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Justiz NRW
Der Beteiligte zu 1) war der Ehemann, die Beteiligten zu 2) und 3) die Brüder und die übrigen Beteiligten Neffen und Nichten der Erblasserin. Die Beteiligten zu 1) - 3) hatten zunächst die Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge beantragt, der für den Beteiligten zu 1) eine Erbquote von ¾, für die Beteiligten zu 2) und 3) eine Erbquote von jeweils 1/16 und für die übrigen Beteiligten Erbquoten von jeweils 1/48 Anteil ausweisen sollte.
Nachdem der Rechtspfleger durch Verfügung vom 4.11.2021 darauf hingewiesen hatte, dass bei der in Jamaika geschlossenen Ehe zwischen der Erblasserin und dem aus Jamaika stammenden Beteiligten zu 1) nicht ersichtlich sei, dass das deutsche Güterrecht Anwendung finde, stellte der Beteiligte zu 2) am 6.12.2021 einen abgeänderten Erbscheinsantrag. Der daraufhin am 14.12.2021 antragsgemäß von dem Rechtspfleger erlassene Erbschein wies den Beteiligten zu 1) als Miterben zu ½, die Beteiligten zu 2) und 3) als Mitererben zu je 1/8 und die Beteiligten zu 4) - 9) als Miterben zu je 1/24 Anteil aus.
Am 4.4.2023 regte der Beteiligte zu 1) die Einziehung des Erbscheins an. Er war der Ansicht, dieser sei unrichtig, weil seine Erbquote nicht ½, sondern ¾ betrage. Obwohl seine Ehe mit der Erblasserin in Jamaika geschlossen worden sei, gelte das deutsche Ehestatut. Danach hätten die Eheleute im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt, so dass §§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB anzuwenden seien. Hiergegen wandten sich die die übrigen Beteiligten. Sie behaupteten, es habe keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Eheleute in Deutschland gegeben. Es sei deshalb an den Ort der Eheschließung, mithin Jamaika, anzuknüpfen.
Das AG hat die Einziehung des Erbscheins abgelehnt. Zur Begründung hat der Rechtspfleger ausgeführt, der Erbschein sei nicht unrichtig, da die richtige Erbquote des Erblassers ausgewiesen sei. Das deutsche Ehegüterrecht sei nicht anwendbar, da der Ort der Eheschließung maßgeblich sei. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) hat das OLG den Beschluss aufgehoben und das Nachlassgericht angewiesen, den Erbschein vom 14.12.2021 einzuziehen.
Die Gründe:
Beruht der Erbschein auf erheblichen Verfahrensverstößen im Erbscheinerteilungsverfahren, ist er formell rechtsunwirksam und deshalb einzuziehen. Die Vorschrift des § 2361 BGB ist dazu analog anzuwenden, denn das Rechtsstaatsprinzip gebietet es, dass ein Erbschein, der unter Verstoß gegen elementare Verfahrensregeln erlassen wurde, von Amts wegen wieder aus dem Rechtsverkehr gezogen wird.
Ein einziehungsrelevanter Verfahrensverstoß folgte hier daraus, dass der Rechtspfleger den Erbschein erteilt hatte. Ein Erbschein ist grundsätzlich i.S.d. § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB unrichtig, wenn er von einem unzuständigen Rechtspflegeorgan (Rechtspfleger statt Richter) erteilt wurde. Der Rechtspfleger war hier für die Erteilung des Erbscheins nicht zuständig. Zwar sind dem Rechtspfleger gem. § 3 Nr. 2 c) RPflG auch die Nachlasssachen nach § 342 Abs. 1, 2 Nr. 2 FamFG übertragen, wozu gem. § 342 Abs. 1 Nr. 6 auch die Erteilung von Erbscheinen gehört. Diese Übertragung erfolgt jedoch gem. § 3 Nr. 2 RPflG vorbehaltlich der in den §§ 14 bis 19 b des RPflG aufgeführten Ausnahmen. Und hier griff der Richtervorbehalt gem. § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG. Danach ist der Richter anstelle des Rechtspflegers u.a. dann funktional zuständig, wenn die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht kommt. Wie schon aus dem angefochtenen Beschluss hervorging, war das hier der Fall.
Zwar richtete sich die Erbfolge aufgrund des Art. 21 Abs. 1 EuErbVO nach deutschem Recht, weil die Erblasserin in Deutschland im Zeitpunkt ihres Todes ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Rahmen der Feststellung der gesetzlichen Erbfolge und der Erbquoten der Beteiligten kam bezüglich des Güterrechts der im Jahr 2010 in Jamaika geschlossenen Ehe die Anwendung jedoch ausländischen Erbrechts in Betracht, denn Art. 1 Abs. 2 lit. d EuErbVO nimmt Fragen des ehelichen Güterrechts ausdrücklich von dem Anwendungsbereich der Verordnung aus. Wie der Rechtspfleger in dem angefochtenen Beschluss nachvollziehbar ausgeführt hatte, kam danach in Betracht, dass sich das eheliche Güterrecht nach dem jamaikanischen Marriage Act, mithin ausländischem Recht, richtete.
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