Wann kann ein Sachverständiger in einem Versicherungsprozess abgelehnt werden?
OLG Nürnberg v. 12.10.2021, 8 W 3701/21
Der Sachverhalt:
In einem seit 2017 anhängigen Rechtsstreit, der die Zahlung rückständiger und zukünftiger Leistungen aus einer zwischen den Parteien bestehenden Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zum Gegenstand hat, hatte das LG am 24.1.2018 vor mündlicher Verhandlung einen Beweisbeschluss erlassen und die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens über die vom Kläger behaupteten Erkrankungen und deren Auswirkungen auf die berufliche Tätigkeit des Klägers angeordnet. Als Sachverständiger wurde der Arzt Dr. D. beauftragt. Dieser erstattete am 24.4.2018 ein erstes fachorthopädisches Gutachten.
Das LG hat anschließend Zeugenbeweis über die Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit des Klägers erhoben und daraufhin den Sachverständigen Dr. D. erneut mit einer schriftlichen Stellungnahme beauftragt, die dieser am 4.3.2019 erstattete. Weiterhin hat das LG mit Beweisbeschluss vom 16.5.2019 ein berufskundliches Gutachten in Auftrag gegeben, das die Sachverständige H. am 22.8.2019 erstattete. Ohne zunächst weiteren Beweis zu erheben, hat das LG die Klage mit Endurteil vom 5.8.2020 abgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers hat das OLG die Entscheidung mit Urteil vom 22.2.2021 aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen. Sodann hat das LG am 29.6.2021 einen weiteren Beweisbeschluss erlassen und den Sachverständigen K. mit einer Erstattung eines berufskundlichen Gutachtens beauftragt. Das Beweisthema wurde mit Beschluss vom 7.7.2021 erweitert. Der Sachverständige K. teilte mit Schreiben vom 25.8.2021 gegenüber dem LG mit, dass er bis Ende Juni 2020 Mitglied der Geschäftsleitung der R-GmbH gewesen sei. Dieses Unternehmen habe berufskundliche Recherchen für verschiedene Versicherungsgesellschaften durchgeführt. Es sei auch in der vorliegenden Sache im Auftrag der Beklagten eingebunden gewesen. Er selbst sei nicht in die Bearbeitung involviert gewesen und habe jetzt erstmals Kenntnis von dem Sachverhalt erlangt.
Daraufhin lehnte der Kläger den Sachverständigen K. unter Bezugnahme auf §§ 406, 41 Nr. 1 ZPO und wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das LG hat den Ablehnungsantrag des Klägers für unbegründet erklärt. Auch die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde blieb erfolglos.
Die Gründe:
Ein Ablehnungsgrund gem. §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 1 ZPO liegt nicht vor.
Der Sachverständige steht zu keiner der beiden Parteien im Verhältnis einer regresspflichtigen Person (§§ 406 Abs. 1 Satz 1, 41 Nr. 1 Alt. 2 ZPO). Zwar war K. bis zum 30.6.2020 einer der Geschäftsführer der R-GmbH und dieses Unternehmen ist im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Versicherungsfall für die Beklagte tätig gewesen. Aus diesem Umstand vermag sich jedoch allenfalls eine Regresspflicht der R-GmbH - einer juristischen Person (§ 13 Abs. 1 GmbHG) - gegenüber der Beklagten ergeben. Eine persönliche Haftung der (ehemaligen) Geschäftsführer käme nur in besonders zu begründenden Ausnahmefällen in Betracht. Eine solche Konstellation war hier jedoch nicht ersichtlich, zumal der Sachverständige K. während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer mit dem streitgegenständlichen Versicherungsfall nicht befasst war und demnach keinerlei Entscheidungen zu treffen hatte.
Es fehlte somit an der erforderlichen unmittelbaren Beziehung zum Streitgegenstand. Einer weiter ausdehnenden Auslegung ist der Begriff des "Regresspflichtigen" wegen des erschöpfenden Charakters der Ausschlussvorschriften von § 41 ZPO nicht zugänglich. Es lagen auch keine Gründe vor, aus denen sich eine Besorgnis der Befangenheit gegen den Sachverständigen ergab (§§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 2 ZPO). Die im Juni 2020 beendete Tätigkeit des Sachverständigen bei der R-GmbH war aus Sicht einer vernünftigen Partei für sich allein nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen.
Zwar können enge geschäftliche Kontakte des Sachverständigen zu einer Partei oder ein eigenes - und sei es auch nur mittelbares - wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits Anlass zu der Befürchtung geben, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Ob dies anzunehmen ist, entzieht sich aber einer schematischen Betrachtungsweise und kann nur aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden. Und im vorliegenden Fall war die Frage zu verneinen. Dass der Sachverständige gleichwohl einseitig Rücksichtnahme auf den Auftraggeber seines früheren Arbeitgebers nehmen könnte, ist nur bei Hinzutreten weiterer, die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen in Frage stellender Umstände zu befürchten. Solche waren hier aber weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich.
Bayern.Recht
In einem seit 2017 anhängigen Rechtsstreit, der die Zahlung rückständiger und zukünftiger Leistungen aus einer zwischen den Parteien bestehenden Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zum Gegenstand hat, hatte das LG am 24.1.2018 vor mündlicher Verhandlung einen Beweisbeschluss erlassen und die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens über die vom Kläger behaupteten Erkrankungen und deren Auswirkungen auf die berufliche Tätigkeit des Klägers angeordnet. Als Sachverständiger wurde der Arzt Dr. D. beauftragt. Dieser erstattete am 24.4.2018 ein erstes fachorthopädisches Gutachten.
Das LG hat anschließend Zeugenbeweis über die Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit des Klägers erhoben und daraufhin den Sachverständigen Dr. D. erneut mit einer schriftlichen Stellungnahme beauftragt, die dieser am 4.3.2019 erstattete. Weiterhin hat das LG mit Beweisbeschluss vom 16.5.2019 ein berufskundliches Gutachten in Auftrag gegeben, das die Sachverständige H. am 22.8.2019 erstattete. Ohne zunächst weiteren Beweis zu erheben, hat das LG die Klage mit Endurteil vom 5.8.2020 abgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers hat das OLG die Entscheidung mit Urteil vom 22.2.2021 aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen. Sodann hat das LG am 29.6.2021 einen weiteren Beweisbeschluss erlassen und den Sachverständigen K. mit einer Erstattung eines berufskundlichen Gutachtens beauftragt. Das Beweisthema wurde mit Beschluss vom 7.7.2021 erweitert. Der Sachverständige K. teilte mit Schreiben vom 25.8.2021 gegenüber dem LG mit, dass er bis Ende Juni 2020 Mitglied der Geschäftsleitung der R-GmbH gewesen sei. Dieses Unternehmen habe berufskundliche Recherchen für verschiedene Versicherungsgesellschaften durchgeführt. Es sei auch in der vorliegenden Sache im Auftrag der Beklagten eingebunden gewesen. Er selbst sei nicht in die Bearbeitung involviert gewesen und habe jetzt erstmals Kenntnis von dem Sachverhalt erlangt.
Daraufhin lehnte der Kläger den Sachverständigen K. unter Bezugnahme auf §§ 406, 41 Nr. 1 ZPO und wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das LG hat den Ablehnungsantrag des Klägers für unbegründet erklärt. Auch die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde blieb erfolglos.
Die Gründe:
Ein Ablehnungsgrund gem. §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 1 ZPO liegt nicht vor.
Der Sachverständige steht zu keiner der beiden Parteien im Verhältnis einer regresspflichtigen Person (§§ 406 Abs. 1 Satz 1, 41 Nr. 1 Alt. 2 ZPO). Zwar war K. bis zum 30.6.2020 einer der Geschäftsführer der R-GmbH und dieses Unternehmen ist im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Versicherungsfall für die Beklagte tätig gewesen. Aus diesem Umstand vermag sich jedoch allenfalls eine Regresspflicht der R-GmbH - einer juristischen Person (§ 13 Abs. 1 GmbHG) - gegenüber der Beklagten ergeben. Eine persönliche Haftung der (ehemaligen) Geschäftsführer käme nur in besonders zu begründenden Ausnahmefällen in Betracht. Eine solche Konstellation war hier jedoch nicht ersichtlich, zumal der Sachverständige K. während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer mit dem streitgegenständlichen Versicherungsfall nicht befasst war und demnach keinerlei Entscheidungen zu treffen hatte.
Es fehlte somit an der erforderlichen unmittelbaren Beziehung zum Streitgegenstand. Einer weiter ausdehnenden Auslegung ist der Begriff des "Regresspflichtigen" wegen des erschöpfenden Charakters der Ausschlussvorschriften von § 41 ZPO nicht zugänglich. Es lagen auch keine Gründe vor, aus denen sich eine Besorgnis der Befangenheit gegen den Sachverständigen ergab (§§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 2 ZPO). Die im Juni 2020 beendete Tätigkeit des Sachverständigen bei der R-GmbH war aus Sicht einer vernünftigen Partei für sich allein nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen.
Zwar können enge geschäftliche Kontakte des Sachverständigen zu einer Partei oder ein eigenes - und sei es auch nur mittelbares - wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits Anlass zu der Befürchtung geben, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Ob dies anzunehmen ist, entzieht sich aber einer schematischen Betrachtungsweise und kann nur aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden. Und im vorliegenden Fall war die Frage zu verneinen. Dass der Sachverständige gleichwohl einseitig Rücksichtnahme auf den Auftraggeber seines früheren Arbeitgebers nehmen könnte, ist nur bei Hinzutreten weiterer, die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen in Frage stellender Umstände zu befürchten. Solche waren hier aber weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich.