02.05.2023

Wechselbezüglichkeit einer Erbeinsetzung bei Anwachsung

Ein bei Eintritt der Anwachsung sich vergrößernder Erbteil kann insgesamt eine auf einer wechselbezüglichen Verfügung beruhende Erbeinsetzung darstellen. Ob und in welchen Fällen ein bei Eintritt der Anwachsung sich vergrößernder Erbteil als eine auf einer wechselbezüglichen Verfügung beruhende Erbeinsetzung anzusehen ist, welche für den überlebenden Ehegatten bei einem gemeinschaftlichen Testament bindend wird, ist in der Literatur und Rechtsprechung allerdings umstritten.

OLG Frankfurt a.M. v. 6.4.2023 - 21 W 3/23
Der Sachverhalt:
Der Beteiligte zu 1) ist der Sohn der Erblasserin, der Beteiligte zu 2) der Sohn des Beteiligten zu 1). Der weitere Sohn des Beteiligten zu 1), X, ist im Jahr 2016 kinderlos vorverstorben und wurde von den Beteiligten zu 1) und 2) beerbt. Die Erblasserin war seit 2015 verwitwet. Sie hatte mit ihrem Ehemann 2004 ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Darin hatten die Ehegatten unter § 1 und § 2 jeweils identische Erbeinsetzungen vorgenommen, in dem sie den anderen Ehegatten, den Beteiligten zu 1), sowie beide Enkel anteilig zu ihren Erben einsetzten und Teilungsanordnungen trafen.

In § 3 wurde Testamentsvollstreckung angeordnet und der Beteiligte zu 1) zum Testamentsvollstrecker ernannt. Diesem wurde zur Auflage gemacht, dass der aufgebaute Betrieb und das Betriebsgrundstück im Familienbesitz bleiben solle. In § 4 wurden für den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Beteiligte zu 1) als Erbe zu ½ und der Beteiligte zu 2) sowie dessen Bruder als Erben zu jeweils ¼ bestimmt.

Nach dem Tod des Ehemannes errichtete die Erblasserin am 15.9.2015 ein handschriftliches Testament, in dem sie den Beteiligten zu 1) zu ihrem Alleinerben einsetzte. Der Beteiligte zu 1) beantragte am 19.5.2022 die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerbe ausweisen sollte. Dabei hat er u.a ausgeführt, das Verhältnis der Erblasserin zu ihren Enkelkindern sei schwierig gewesen.

Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Erbeinsetzungen in dem gemeinschaftlichen Testament seien wechselbezüglich, so dass die Erblasserin an dieses gebunden wäre und nicht abweichend hätte testieren können. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.

Die Gründe:
Der Beteiligte zu 1) ist nicht Alleinerbe nach der Erblasserin geworden. Die Erblasserin hatte den Beteiligten zu 2) in dem gemeinschaftlichen Testament vom 12.1.2004 in § 2b) als Miterben eingesetzt. Daran war sie gem. § 2271 Abs. 2 S.1 BGB gebunden, so dass ihre Verfügung in dem späteren Testament, soweit sie die Miterbeneinsetzung des Beteiligten zu 2) aufheben würde, entsprechend § 2289 BGB unwirksam blieb.

Das gemeinschaftliche Testament aus dem Jahr 2004 enthielt eine abschließende Regelung der Erbfolge nach den testierenden Ehegatten für deren beider Todesfälle und nicht lediglich eine Regelung für den Fall des Erstversterbens. Dies ergab die Auslegung des Testaments. Dabei war gem. § 2084 BGB im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei welcher die Verfügung Erfolg haben kann, wenn der Inhalt einer letztwilligen Verfügung verschiedene Auslegungen zulässt. Der Umstand, dass es sich bei dem gemeinschaftlichen Testament um eine notarielle Urkunde handelte, stand der Auslegung nicht entgegen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war das gemeinschaftliche Testament dahingehend auszulegen, dass die Ehegatten mit den jeweiligen Erbeinsetzungen gemäß der §§ 1 und 2 ihre Erbfolge abschließend regeln wollten und dies unabhängig davon, wer von ihnen als erster und wer als zweiter versterben sollte. Dabei war die Erbfolge darauf gerichtet, dass das überwiegend gemeinschaftliche Vermögen nach dem Tod des Letztversterbenden auf den Sohn und die Enkel übergehen sollte.

Es handelte sich hier allerdings nicht um den häufig anzutreffenden Fall eines sog. "Berliner Testaments". Vielmehr hatten die Ehegatten bereits beim ersten Erbfall eine anteilige Berücksichtigung ihrer gesetzlichen Erben vorgesehen. Es ging daher auch nicht um die Frage, ob die Ehegatten in dem Testament etwa stillschweigend Schlusserben eingesetzt hätten. Infolgedessen kam es den Ehegatten darauf an, dass das Betriebsgrundstück in einer Hand vereinigt werden und der Betrieb in Familienbesitz verbleiben sollte. Daher war der gemeinsame Wille erkennbar darauf gerichtet, dass mit dem Testament die Zusammenführung des jeweiligen, insbesondere des überwiegend in hälftigem Miteigentum stehenden Grundbesitzes nach dem Tod des Letztversterbenden auf den Sohn aber auch auf die Enkel als Erbengemeinschaft übergehen sollte.

Nach Auffassung des Senats hat der Beteiligte zu 2) zudem an der Anwachsung der Erbteile seines verstorbenen Bruders und Großvaters teilgenommen. An die sich aus der Anwachsung ergebende Vergrößerung des Erbteils war die Erblasserin auch gebunden. Ob und in welchen Fällen ein bei Eintritt der Anwachsung sich vergrößernder Erbteil als eine auf einer wechselbezüglichen Verfügung beruhende Erbeinsetzung anzusehen ist, welche für den überlebenden Ehegatten bei einem gemeinschaftlichen Testament bindend wird, ist in der Literatur und Rechtsprechung umstritten. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob in diesem Fall die Wechselbezüglichkeit auch aufgrund der Regelung in § 2270 Abs. 2 BGB vermutet werden kann. Hinsichtlich der für den Erbteil des vorverstorbenen Ehegatten im Testament angelegten Erhöhung des Erbteils durch Anwachsung ist die Wechselbezüglichkeit bereits aufgrund individueller Auslegung anzunehmen.

Ausgehend von der h.M., der sich der Senat anschließt, wird der durch Anwachsung vergrößerte Erbteil jedenfalls dann von der Wechselbezüglichkeit erfasst, wenn diese nicht ausschließlich aufgrund des § 2094 BGB eintritt. Im vorliegenden Fall beruhte die Zuweisung des Erbteils des vorverstorbenen Ehegatten schon nicht allein auf der gesetzlichen Regelung in § 2094 BGB, sondern auf dem in dem Testament hinreichend zum Ausdruck gebrachten Willen der Ehegatten. Hiervon ausgehend ergab bereits die individuelle Auslegung, dass die Ehegatten für diesen Fall auch die Wechselbezüglichkeit dieser sich mit einer erhöhten Erbquote ergebenden Erbeinsetzung gewollt hatten, wofür wiederum die Regelung in § 3 herangezogen werden konnte. Den Ehegatten kam es erkennbar darauf an, ihr gemeinschaftliches Vermögen zusammenzuführen und im Ergebnis dem Sohn und den Enkeln zukommen zu lassen. Eine wesentliche Besserstellung sollte dabei dem Sohn nach den Regelungen in §§ 1,2 - aber auch etwa unter Berücksichtigung des § 4 - schon nicht zukommen.

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Aufsatz
Franz M. Große-Wilde
Die Rechtsprechung zum Erbrecht
MDR 2022, 1446

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