WEG-Anlage: Lüften der Bettwäsche im Fenster ist sozialadäquat
LG Karlsruhe v. 4.12.2023 - 11 S 85/21
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kläger sind Eigentümer der Wohnung Nr. 1 (Erdgeschoss links). Die Beklagten sind Eigentümer der Wohnung Nr. 4 (Obergeschoss links). Im vorliegenden Rechtsstreit machen die Kläger einen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagten geltend. In der Hausordnung der Wohnungseigentümergemeinschaft ist unter Punkt 2 (Gegenseitige Rücksichtnahme) folgende Regelung enthalten: "Aus den Fenstern darf nichts geworfen, geschüttet oder geschüttelt werden. Auch darf dort keine Wäsche aufgehängt werden." Die Beklagten hängen bzw. legen seit 30 Jahren morgens regelmäßig Kopfkissen und Zudecken zum Lüften über die Fensterbrüstung des geöffneten Schlafzimmerfensters. Dieses Schlafzimmerfenster befindet sich oberhalb eines Fensters der klägerischen Wohnung.
Die Kläger sind der Ansicht, dass diese Verhaltensweise gegen die Regelung in der Hausordnung verstoße. Durch das Schütteln ihrer (Bett-)Wäsche über das geöffnete Fenster ihrer Wohnung würden Staub oder lose Teile der betreffenden Wäschestücke in die Wohnung der Kläger gelangen. Zum Teil würde die Bettwäsche über mehrere Stunden im Fenster hängen. Das Verhalten der Beklagten sei den Klägern schon aus hygienischen Gründen nicht zumutbar, da auf diese Weise Staub, Haare und Ähnliches in die Wohnräume der Kläger eindringen könnten. Trotz der ausdrücklichen Aufforderung, mit diesem Verhalten aufzuhören, würden die Beklagten weiterhin ihre Bettwäsche täglich in der dargestellten Art und Weise ausschütteln und auf der geöffneten Fensterbank aufhängen.
Die Beklagten tragen demgegenüber vor, beim morgendlichen Lüften der Betten lediglich zwei Kopfkissen, zwei kleine Kissen und zwei Bettdecken zum Lüften auf den Fenstersims des Schlafzimmerfensters zu legen. Es werde zu keinem Zeitpunkt Bett- oder andere Wäsche aus dem Fenster ausgeschüttelt, so dass weder Staub noch sonstige lose Teile in die Wohnung der Kläger gelangten. Andere Miteigentümer oder Mitbewohner hätten das Verhalten der Beklagten nie beanstandet. Die Kläger überzögen die Beklagten nun schon seit mehreren Jahren mit verschiedensten Vorwürfen. Auch andere Mitbewohner des Hauses würden i.Ü. Bettwäsche zum Lüften über die Fensterbrüstung oder über das Balkongeländer hängen.
Das AG wies die Klage ab. Hiergegen wandten sich die Kläger mit der Berufung. Mit dem vorliegenden Beschluss erteilte das LG den Hinweis, dass es beabsichtige, die Berufung gegen das Urteil des AG zurückzuweisen. Die Kläger nahmen daraufhin die Berufung zurück.
Die Gründe:
Das Verhalten eines Wohnungseigentümers stellt grundsätzlich nur insoweit eine Beeinträchtigung i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB dar und kann von anderen Wohnungseigentümern gem. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 14 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 WEG abgewehrt werden, soweit diesen über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst.
Das Auslegen von Wäsche am geöffneten Fenster zum Zwecke der Lüftung stellt danach keinen erheblichen Nachteil für die Kläger dar. Hierin liegt nach objektiver Betrachtung ein in vielen Haushalten übliches und sozialadäquates Verhalten. Auch wenn sich dabei ggf. in geringem Umfang einzelne Haare o.ä. von den Wäschestücken lösen und im Einzelfall - etwa bei zufälligen Windverwehungen - in das Sondereigentum der Kläger gelangen könnten, stellt dies lediglich eine ganz geringfügige Beeinträchtigung dar und ändert an der Sozialadäquanz des Verhaltens nichts. Dass im Falle der Beklagten ein höherer als dieser hypothetisch erwartbare "Niederschlag" im Sondereigentum der Kläger bestünde, ist nicht ersichtlich.
Entgegen der Berufung ist auch nicht gerichtsbekannt, dass durch das bloße Auslegen von Bettwäsche am Fenstersims Schmutzpartikel in nennenswertem Umfang herabrieseln und diese bei offenem Fenster in darunter gelegene Wohnungen hineinfallen. Soweit die Kläger vorgetragen haben, dass die Beklagten ihre Wäsche auch ausschütteln würden und hierdurch mehr Haare u.ä. in die Wohnung der Kläger gelangen würden, haben die Beklagten dies ebenfalls erstinstanzlich bestritten. Beweis für diese nicht näher substantiierte Behauptung haben die Kläger nicht angetreten.
Auch eine Vereinbarung, die das Auslegen der Bettwäsche am Fenster verbietet, besteht nicht. Insbesondere ergibt sich ein solches Verbot nicht aus Nr. 2 der gemeinschaftlichen Hausordnung. Die Hausordnung ist objektiv und normativ auszulegen. Dabei ist regelmäßig zwischen dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme einerseits, z.B. bei etwaigen speziellen Bedürfnissen nur weniger Wohnungseigentümer, und dem Gebot der Gleichbehandlung andererseits abzuwägen. Auch die Verkehrsanschauung darüber, ob bestimmte Verhaltensweisen oder Beschränkungen noch als angemessen oder schon als unzumutbar gelten, spielt eine Rolle bei der Auslegung der Hausordnung. Nach diesem Maßstab stellt das bloße Auslegen der Bettwäsche auf dem Fensterbrett keinen Verstoß gegen die Hausordnung dar.
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Landesrechtsprechung Baden-Württemberg
Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kläger sind Eigentümer der Wohnung Nr. 1 (Erdgeschoss links). Die Beklagten sind Eigentümer der Wohnung Nr. 4 (Obergeschoss links). Im vorliegenden Rechtsstreit machen die Kläger einen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagten geltend. In der Hausordnung der Wohnungseigentümergemeinschaft ist unter Punkt 2 (Gegenseitige Rücksichtnahme) folgende Regelung enthalten: "Aus den Fenstern darf nichts geworfen, geschüttet oder geschüttelt werden. Auch darf dort keine Wäsche aufgehängt werden." Die Beklagten hängen bzw. legen seit 30 Jahren morgens regelmäßig Kopfkissen und Zudecken zum Lüften über die Fensterbrüstung des geöffneten Schlafzimmerfensters. Dieses Schlafzimmerfenster befindet sich oberhalb eines Fensters der klägerischen Wohnung.
Die Kläger sind der Ansicht, dass diese Verhaltensweise gegen die Regelung in der Hausordnung verstoße. Durch das Schütteln ihrer (Bett-)Wäsche über das geöffnete Fenster ihrer Wohnung würden Staub oder lose Teile der betreffenden Wäschestücke in die Wohnung der Kläger gelangen. Zum Teil würde die Bettwäsche über mehrere Stunden im Fenster hängen. Das Verhalten der Beklagten sei den Klägern schon aus hygienischen Gründen nicht zumutbar, da auf diese Weise Staub, Haare und Ähnliches in die Wohnräume der Kläger eindringen könnten. Trotz der ausdrücklichen Aufforderung, mit diesem Verhalten aufzuhören, würden die Beklagten weiterhin ihre Bettwäsche täglich in der dargestellten Art und Weise ausschütteln und auf der geöffneten Fensterbank aufhängen.
Die Beklagten tragen demgegenüber vor, beim morgendlichen Lüften der Betten lediglich zwei Kopfkissen, zwei kleine Kissen und zwei Bettdecken zum Lüften auf den Fenstersims des Schlafzimmerfensters zu legen. Es werde zu keinem Zeitpunkt Bett- oder andere Wäsche aus dem Fenster ausgeschüttelt, so dass weder Staub noch sonstige lose Teile in die Wohnung der Kläger gelangten. Andere Miteigentümer oder Mitbewohner hätten das Verhalten der Beklagten nie beanstandet. Die Kläger überzögen die Beklagten nun schon seit mehreren Jahren mit verschiedensten Vorwürfen. Auch andere Mitbewohner des Hauses würden i.Ü. Bettwäsche zum Lüften über die Fensterbrüstung oder über das Balkongeländer hängen.
Das AG wies die Klage ab. Hiergegen wandten sich die Kläger mit der Berufung. Mit dem vorliegenden Beschluss erteilte das LG den Hinweis, dass es beabsichtige, die Berufung gegen das Urteil des AG zurückzuweisen. Die Kläger nahmen daraufhin die Berufung zurück.
Die Gründe:
Das Verhalten eines Wohnungseigentümers stellt grundsätzlich nur insoweit eine Beeinträchtigung i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB dar und kann von anderen Wohnungseigentümern gem. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 14 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 WEG abgewehrt werden, soweit diesen über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst.
Das Auslegen von Wäsche am geöffneten Fenster zum Zwecke der Lüftung stellt danach keinen erheblichen Nachteil für die Kläger dar. Hierin liegt nach objektiver Betrachtung ein in vielen Haushalten übliches und sozialadäquates Verhalten. Auch wenn sich dabei ggf. in geringem Umfang einzelne Haare o.ä. von den Wäschestücken lösen und im Einzelfall - etwa bei zufälligen Windverwehungen - in das Sondereigentum der Kläger gelangen könnten, stellt dies lediglich eine ganz geringfügige Beeinträchtigung dar und ändert an der Sozialadäquanz des Verhaltens nichts. Dass im Falle der Beklagten ein höherer als dieser hypothetisch erwartbare "Niederschlag" im Sondereigentum der Kläger bestünde, ist nicht ersichtlich.
Entgegen der Berufung ist auch nicht gerichtsbekannt, dass durch das bloße Auslegen von Bettwäsche am Fenstersims Schmutzpartikel in nennenswertem Umfang herabrieseln und diese bei offenem Fenster in darunter gelegene Wohnungen hineinfallen. Soweit die Kläger vorgetragen haben, dass die Beklagten ihre Wäsche auch ausschütteln würden und hierdurch mehr Haare u.ä. in die Wohnung der Kläger gelangen würden, haben die Beklagten dies ebenfalls erstinstanzlich bestritten. Beweis für diese nicht näher substantiierte Behauptung haben die Kläger nicht angetreten.
Auch eine Vereinbarung, die das Auslegen der Bettwäsche am Fenster verbietet, besteht nicht. Insbesondere ergibt sich ein solches Verbot nicht aus Nr. 2 der gemeinschaftlichen Hausordnung. Die Hausordnung ist objektiv und normativ auszulegen. Dabei ist regelmäßig zwischen dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme einerseits, z.B. bei etwaigen speziellen Bedürfnissen nur weniger Wohnungseigentümer, und dem Gebot der Gleichbehandlung andererseits abzuwägen. Auch die Verkehrsanschauung darüber, ob bestimmte Verhaltensweisen oder Beschränkungen noch als angemessen oder schon als unzumutbar gelten, spielt eine Rolle bei der Auslegung der Hausordnung. Nach diesem Maßstab stellt das bloße Auslegen der Bettwäsche auf dem Fensterbrett keinen Verstoß gegen die Hausordnung dar.
Kommentierung | BGB:
§ 1004 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch
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