WEG: Zum drittschützenden Charakter in einem Wochenendhausgebiet
BGH v. 8.3.2024 - V ZR 119/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Bei der Wohnungseigentumsanlage handelt es sich um eine in Schleswig-Holstein belegene, ehemals städtische Wochenendhaussiedlung. Bei der Aufteilung des Grundstücks im Jahr 2003 durch die Stadt waren jeweils Sondernutzungsrechte an den mit Wochenendhäusern bebauten Parzellen gebildet und die Miteigentumsanteile an dem Grundstück mit dem Sondereigentum an den Räumen der einzelnen Häuser verbunden. Der Beklagte zu 1) ist Sondereigentümer eines solchen Hauses. Die Teilungserklärung (TE) nahm in der Vorbemerkung auf die Eintragung nicht näher beschriebener Nutzungs- und Bebauungsbeschränkungen Bezug und sah vor, dass mit bauordnungsrechtlicher Genehmigung errichtete Gebäude Bestandsschutz genießen sollten.
Das zu dem Wohnungseigentum des Beklagten zu 1) gehörende Wochenendhaus war bereits im Jahr 1971 mit einer Grundfläche von 69,81 qm errichtet worden. Das Grundstück, auf dem sich die Wohnungseigentumsanlage befindet, liegt nach dem Bebauungsplan vom 1.11.2005 in einem als Wochenendhausgebiet festgesetzten Sondergebiet, bei dem Wochenendhäuser als Einzelhäuser zulässig sind. Die Grundfläche eines Wochenendhauses darf hiernach 35 qm nicht überschreiten; zusätzlich sind je Parzelle in einer Größe von 10 qm überdachte Freisitze oder verglaste Anbauten zulässig, die keine Aufenthaltsräume i.S.d. Landesbauordnung sind.
Im Jahr 2018 wurde den Beklagten zu 1) und 2) auf ihren gemeinschaftlichen Antrag im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren eine Baugenehmigung für die Sanierung und den Umbau des Bestandsgebäudes sowie die Errichtung eines neuen Daches erteilt; betreffend eine Erhöhung der Traufhöhe war eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans vorgesehen. Die Grundfläche des zwischenzeitlich umgebauten Gebäudes entspricht derjenigen des ehemaligen Gebäudes, wobei ein ehemaliger Freisitz zu einem Gebäudebestandteil geworden ist.
Die Klägerin verlangte von den Beklagten den Rückbau des Gebäudes. AG und LG haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Gründe:
Mit den bislang getroffenen Feststellungen lässt sich der von der Klägerin gem. § 1004 Abs. 1 BGB geltend gemachte Beseitigungsanspruch nicht verneinen.
Nach Auffassung des Senats ist der Instanzrechtsprechung im Grundsatz zuzustimmen. Ist in der Gemeinschaftsordnung einer Mehrhausanlage - wie hier - vereinbart, dass die Wohnungseigentümer weitgehend so gestellt werden sollen, als handelte es sich um real geteilte Grundstücke bzw. als wären sie Alleineigentümer, und ist den Wohnungseigentümern eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums gestattet, begründet im Zweifel nicht jeder Verstoß gegen eine öffentlich-rechtliche Norm einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB; vielmehr muss der Norm Drittschutz zukommen.
Nach der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte schließt das Sondereigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz öffentlich-rechtliche Nachbarschutzansprüche innerhalb der Gemeinschaft der Miteigentümer desselben Grundstücks aus; wann und in welchem Umfang materielle Abwehrrechte eines Wohnungseigentümers gegen baurechtlich unzulässige Baumaßnahmen auf dem gemeinschaftlichen Grundstück bestehen, ist auf dem ordentlichen Rechtsweg vor den Zivilgerichten zu klären. Daran hat sich durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz nichts geändert Das hat zur Folge, dass der öffentlich-rechtliche Rechtsschutz in das Wohnungseigentumsverfahren verlagert wird. Dort können die anderen Wohnungseigentümer nicht mehr, aber auch nicht weniger verlangen als Nachbarn auf real geteilten Grundstücken, mit denen sie so weit wie möglich gleichgestellt werden möchten.
Das Berufungsgericht hatte zwar folgerichtig geprüft, ob von der Verletzung einer drittschützenden Norm auszugehen war. Dies hat es allerdings zu Unrecht verneint. Es hat übersehen, dass die Festsetzung in einem Bebauungsplan über die Grundfläche der Wochenendhäuser in einem Wochenendhausgebiet Teil der Gebietsfestsetzung ist und deshalb drittschützenden Charakter hat. Infolgedessen wird es im weiteren Verfahren zu prüfen haben, ob das von den Beklagten errichtete Gebäude von der im Jahr 2018 erteilten Baugenehmigung gedeckt ist. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Beklagten bei der Bauausführung so wesentlich von der Baugenehmigung abgewichen wären, dass sie nicht das genehmigte, sondern ein anderes Bauvorhaben ("aliud") errichtet hätten.
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Die Klägerin ist eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Bei der Wohnungseigentumsanlage handelt es sich um eine in Schleswig-Holstein belegene, ehemals städtische Wochenendhaussiedlung. Bei der Aufteilung des Grundstücks im Jahr 2003 durch die Stadt waren jeweils Sondernutzungsrechte an den mit Wochenendhäusern bebauten Parzellen gebildet und die Miteigentumsanteile an dem Grundstück mit dem Sondereigentum an den Räumen der einzelnen Häuser verbunden. Der Beklagte zu 1) ist Sondereigentümer eines solchen Hauses. Die Teilungserklärung (TE) nahm in der Vorbemerkung auf die Eintragung nicht näher beschriebener Nutzungs- und Bebauungsbeschränkungen Bezug und sah vor, dass mit bauordnungsrechtlicher Genehmigung errichtete Gebäude Bestandsschutz genießen sollten.
Das zu dem Wohnungseigentum des Beklagten zu 1) gehörende Wochenendhaus war bereits im Jahr 1971 mit einer Grundfläche von 69,81 qm errichtet worden. Das Grundstück, auf dem sich die Wohnungseigentumsanlage befindet, liegt nach dem Bebauungsplan vom 1.11.2005 in einem als Wochenendhausgebiet festgesetzten Sondergebiet, bei dem Wochenendhäuser als Einzelhäuser zulässig sind. Die Grundfläche eines Wochenendhauses darf hiernach 35 qm nicht überschreiten; zusätzlich sind je Parzelle in einer Größe von 10 qm überdachte Freisitze oder verglaste Anbauten zulässig, die keine Aufenthaltsräume i.S.d. Landesbauordnung sind.
Im Jahr 2018 wurde den Beklagten zu 1) und 2) auf ihren gemeinschaftlichen Antrag im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren eine Baugenehmigung für die Sanierung und den Umbau des Bestandsgebäudes sowie die Errichtung eines neuen Daches erteilt; betreffend eine Erhöhung der Traufhöhe war eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans vorgesehen. Die Grundfläche des zwischenzeitlich umgebauten Gebäudes entspricht derjenigen des ehemaligen Gebäudes, wobei ein ehemaliger Freisitz zu einem Gebäudebestandteil geworden ist.
Die Klägerin verlangte von den Beklagten den Rückbau des Gebäudes. AG und LG haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Gründe:
Mit den bislang getroffenen Feststellungen lässt sich der von der Klägerin gem. § 1004 Abs. 1 BGB geltend gemachte Beseitigungsanspruch nicht verneinen.
Nach Auffassung des Senats ist der Instanzrechtsprechung im Grundsatz zuzustimmen. Ist in der Gemeinschaftsordnung einer Mehrhausanlage - wie hier - vereinbart, dass die Wohnungseigentümer weitgehend so gestellt werden sollen, als handelte es sich um real geteilte Grundstücke bzw. als wären sie Alleineigentümer, und ist den Wohnungseigentümern eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums gestattet, begründet im Zweifel nicht jeder Verstoß gegen eine öffentlich-rechtliche Norm einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB; vielmehr muss der Norm Drittschutz zukommen.
Nach der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte schließt das Sondereigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz öffentlich-rechtliche Nachbarschutzansprüche innerhalb der Gemeinschaft der Miteigentümer desselben Grundstücks aus; wann und in welchem Umfang materielle Abwehrrechte eines Wohnungseigentümers gegen baurechtlich unzulässige Baumaßnahmen auf dem gemeinschaftlichen Grundstück bestehen, ist auf dem ordentlichen Rechtsweg vor den Zivilgerichten zu klären. Daran hat sich durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz nichts geändert Das hat zur Folge, dass der öffentlich-rechtliche Rechtsschutz in das Wohnungseigentumsverfahren verlagert wird. Dort können die anderen Wohnungseigentümer nicht mehr, aber auch nicht weniger verlangen als Nachbarn auf real geteilten Grundstücken, mit denen sie so weit wie möglich gleichgestellt werden möchten.
Das Berufungsgericht hatte zwar folgerichtig geprüft, ob von der Verletzung einer drittschützenden Norm auszugehen war. Dies hat es allerdings zu Unrecht verneint. Es hat übersehen, dass die Festsetzung in einem Bebauungsplan über die Grundfläche der Wochenendhäuser in einem Wochenendhausgebiet Teil der Gebietsfestsetzung ist und deshalb drittschützenden Charakter hat. Infolgedessen wird es im weiteren Verfahren zu prüfen haben, ob das von den Beklagten errichtete Gebäude von der im Jahr 2018 erteilten Baugenehmigung gedeckt ist. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Beklagten bei der Bauausführung so wesentlich von der Baugenehmigung abgewichen wären, dass sie nicht das genehmigte, sondern ein anderes Bauvorhaben ("aliud") errichtet hätten.
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