10.08.2020

Wenn zwei unterschiedliche kranke Mietvertragsparteien aufeinandertreffen

Wird das Erlangungsinteresse mit krankheitsbedingten Nutzungseinschränkungen der bisher bewohnten Räume begründet, reicht die Angabe der Krankheitssymptome, die richtige Bezeichnung der Diagnose ist nicht erforderlich. Wiegen die Interessen der Parteien gleich schwer, so gebührt dem Erlangungsinteresse des Vermieters der Vorrang.

AG Dortmund v. 2.6.2020 - 425 C 3346/19
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Eigentümerin eines mehrgeschossigen Gebäudes, bei dem es sich ursprünglich um ein Einfamilienhaus handelte. Später wurden Türen im Abschlusstüren im Treppenhaus auf jeder Etage eingebaut, so mindestens zwei getrennte Wohnungen entstanden. Die Wohnung im Erdgeschoss besteht aus 2 ½ Räumen

Die Beklagte hatte diese Erdgeschosswohnung mit Vertrag ab Juli 2016 zu einer Grundmiete von 520,- € zzgl. 180,- Betriebskostenvorauszahlungen angemietet. Am 11.6.2016 haben die Parteien eine Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag geschlossen, in der es diverse Arbeiten vor Einzug der Beklagten ging, außerdem wurde der Beklagten die Kaution "erlassen". Die Klägerin bewohnt die darüber liegende Wohnung mit ihrem Ehemann.

Mit Schreiben vom 22.11.2018 kündigte die Klägerin der Beklagten das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zum 28.2.2019. Die Kündigung wurde darauf gestützt, dass die Klägerin die Wohnung für sich selbst benötigt. Es sei beabsichtigt, die Wohnungen im Haus wieder zusammen zu legen. Dies sei aus gesundheitlichen Gründen erforderlich, da das Treppensteigen für ihren Ehemann aufgrund einer 2017 festgestellten Herzerkrankung, nicht mehr ohne weiteres möglich sei. Auch die Klägerin sei durch eine Arthrose beeinträchtigt. Der Sohn der Klägerin sei 100% schwerbehindert. Er lebe im Heim und komme 3 bis 4 Mal im Jahr zu Besuch. Dafür solle ihm ein eigenes Zimmer zur Verfügung gestellt werden. Rein vorsorglich kündigte die Klägerin das Mietverhältnis auch gem. § 573a BGB zum 31.5.2019.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 17.12.2019 (wohl 2018) gegen die Kündigung Widerspruch erhoben und sich dabei darauf berufen, dass sie sich seit dem 9.6.2017 u.a. wegen Depressionen in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Auch eine stationäre Behandlung sei erforderlich gewesen. Sie sei seither wieder in die Lage versetzt worden, ab Mai 2018 ihren Beruf auszuüben. Es sei auch nicht möglich eine vergleichbare Wohnung in Dortmund zu finden.

Die Klägerin behauptete, der Beklagten sei bei Vertragsschluss nur gesagt worden, dass im Moment nicht mit einer Kündigung wegen Eigenbedarfs zu rechnen sei. Die Entwicklung des gesundheitlichen Zustands der Klägerin und ihres Mannes sei bei Abschluss des Vertrages nicht absehbar gewesen sei. Der Sohn schlafe nicht allein im Dachgeschoss.

Das AG wies die Klage ab.

Die Gründe:
Die Klägerin kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht die Räumung der Wohnung im Erdgeschoss gem. § 546 Abs. 1 BGB verlangen. Zwar hat die Kündigung vom 22.11.2018 das Mietverhältnis zum 28.2.2019 beendet, jedoch steht der Beklagten ein Anspruch auf Vertragsfortsetzung bis zum 28.2. 2022

Bei einer Eigenbedarfskündigung ist die Angabe der Personen, für die die Wohnung benötigt wird, und die Darlegung des Interesses, das diese Personen an der Erlangung der Wohnung haben, ausreichend. Wird das Erlangungsinteresse mit krankheitsbedingten Nutzungseinschränkungen der bisher bewohnten Räume begründet, reicht die Angabe der Krankheitssymptome, die richtige Bezeichnung der Diagnose ist nicht erforderlich. Insofern kann der Vermieter ein Mietverhältnis ordentlich gem. § 573 BGB und "vorsorglich" gem. § 573a BGB kündigen. Es liegt keine unzulässige Bedingung vor.

Allerdings kann der Mieter gem. § 574a BGB im Falle des § 574 verlangen, dass das Mietverhältnis so lange fortgesetzt wird, wie dies unter Berücksichtigung aller Umstände angemessen ist. Ist ungewiss, wann voraussichtlich die Umstände wegfallen, aufgrund derer die Beendigung des Mietverhältnisses eine Härte bedeutet, kann bestimmt werden, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt wird. Eine Fortsetzung des Mietverhältnisses setzt nicht voraus, dass die auf Seiten des Mieters bestehende Härte die Interessen des Vermieters deutlich überwiegt.

Maßgebend ist allein, ob sich ein Übergewicht der Belange der Mieterseite feststellen lässt, also die Interessenabwägung zu einem klaren Ergebnis führt. Wiegen die Interessen der Parteien gleich schwer, so gebührt dem Erlangungsinteresse des Vermieters der Vorrang. Im vorliegenden Fall treffen zwei unterschiedliche kranke Mietvertragsparteien aufeinander. Es ist allenfalls ein leichtes Überwiegen der Härtegründe auf Beklagtenseite feststellbar. Das Gericht musste deshalb eine Prognoseentscheidung bezüglich eines möglichen Wegfalls der Härtegründe zu treffen.

Es ist dem Gericht durchaus bewusst, dass diese Entscheidung von beiden Parteien als nachteilig empfunden wird, da sie mit unterschiedlichen Vorstellungen in das Verfahren gegangen sind. Das ist das Problem fast jeder Eigenbedarfsklage, da der Mieter hier - anders als bei so gut wie allen anderen Kündigungsgründen - sich kein schuldhaftes Verhalten vorwerfen lassen muss. Es gibt nun einmal nur eine Wohnung, die das Gericht zwischen zwei Parteien verteilen muss. Dabei muss es sich an die grundgesetzlichen und einfachgesetzlichen Vorgaben halten.
Justiz NRW
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