Zu den Anforderungen an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners nach § 519 Abs. 2 ZPO
BGH v. 14.12.2022 - IV ZB 1/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf restlichen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Die Beklagte zu 1) ist Halterin und Fahrerin des bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw.
Das AG wies die Klage ab. Das Urteil wurde dem Kläger am 12.7.2021 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 6.8.2021 (am selben Tag beim LG eingegangen) legte der Kläger Berufung ein. Die Berufungsschrift, der eine Abschrift des erstinstanzlichen Urteils beigefügt war, lautet wie folgt:
"In Sachen
R[...] K[...],
[Adresse]
- Kläger/Berufungskläger -
Prozessbev.: [...]
g e g e n
N[...] P[...]
[Adresse]
- Beklagte/Berufungsbeklagte -
Prozessbev.: [...]
legen wir namens des Klägers und Berufungsklägers gegen das am 05.07.2021 verkündete und am 12.07.2021 zugestellte Urteil des Amtsgerichts [...], Az. [...]
B e r u f u n g
ein.
Anträge und Begründung bleiben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten.
Eine beglaubigte Fotokopie des angefochtenen Urteils ist beigefügt."
Mit am 2.9.2021 eingegangenem Schriftsatz vom 1.9.2021 begründete der Kläger die Berufung "in Sachen K[...], R[...] ./. P[...], N[...] u.a." und beantragte die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils gegen beide Beklagten. Das LG verwarf nach einem Hinweis, dass es die Zulässigkeit der Berufung für problematisch erachte, die Berufung gegen beide Beklagten mit Beschluss vom 26.9.2022 als unzulässig.
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Das LG hat die in § 519 Abs. 2 ZPO enthaltenen Anforderungen an eine Berufungsschrift überspannt.
Zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 ZPO gehört die Mitteilung, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wird. Dabei sind allerdings an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners nach ständiger BGH-Rechtsprechung weniger strenge Anforderungen zu stellen als an die Bezeichnung des Rechtsmittelführers. Jedenfalls in denjenigen Fallgestaltungen, in denen der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen besteht, richtet sich das Rechtsmittel im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung und somit gegen alle gegnerischen Streitgenossen, es sei denn, die Rechtsmittelschrift lässt eine Beschränkung der Anfechtung erkennen. Eine solche Beschränkung kann sich, wenn auf der Gegenseite mehrere Streitgenossen stehen, zwar auch daraus ergeben, dass in der Rechtsmittelschrift nur einige von ihnen angegeben werden. Dies ist jedoch nicht zwingend. Der BGH hat eine unbeschränkte Berufungseinlegung auch in Fällen bejaht, in denen als Rechtsmittelgegner nur einer von mehreren Streitgenossen, und zwar der im Urteilsrubrum an erster Stelle Stehende, genannt wurde.
Nach diesen Grundsätzen hat das LG zu Unrecht angenommen, dass der Kläger mit der Berufungsschrift vom 6.8.2021 nur Berufung gegen die Beklagte zu 1) und nicht auch gegen die Beklagte zu 2) eingelegt hat. Aus der Berufungsschrift ergibt sich unter Berücksichtigung des ihr beigefügten Urteils des AG und des sich daraus ergebenden Sachverhalts, dass sich die Berufung gegen beide Beklagten richtet. In der Berufungsschrift ist zwar ausdrücklich nur die Beklagte zu 1), also die im Rubrum des Urteils des AG auf Beklagtenseite an erster Stelle Stehende, als Berufungsbeklagte genannt. Weitere Angaben, aus denen eindeutig zu schließen wäre, dass sich die Berufung nur gegen die Beklagte zu 1) als eine von mehreren Streitgenossen richten soll, finden sich dort aber nicht. Insbesondere enthält die Berufungsschrift keine Berufungsanträge, aus denen sich Entsprechendes ergäbe. Daher ist im Zweifel davon auszugehen, dass sich die Berufung auch gegen die Beklagte zu 2) richtet.
Auch nach den Umständen des Falles ist die Beschränkung des Rechtsmittelangriffs auf die Beklagte zu 1) als fernliegend anzusehen. Denn dem der Berufungsschrift beigefügten Urteil des AG kann entnommen werden, dass der Kläger mit seiner Klage die Beklagten als Gesamtschuldner, nämlich die Beklagte zu 1) als Halterin und Fahrerin eines Pkw und die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer, aus einem Verkehrsunfall in Anspruch nimmt. Anhaltspunkte für eine bei einer Anfechtung des Urteils zwischen den Beklagten zu 1) und 2) sinnvoll vorzunehmende Differenzierung liegen nicht vor. Aufgrund der Regelung des § 124 Abs. 1 VVG, nach der ein rechtskräftiges Urteil, das zwischen dem Geschädigten und dem Versicherer ergangen ist und durch das festgestellt wird, dass dem Geschädigten ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht, auch zugunsten des Versicherungsnehmers wirkt, wäre es vielmehr sinnlos und daher unverständlich, würde sich die Berufung des Klägers nur gegen die Beklagte zu 1), nicht aber gegen die Beklagte zu 2) richten.
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§ 519 Berufungsschrift
Heßler in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022
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Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf restlichen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Die Beklagte zu 1) ist Halterin und Fahrerin des bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw.
Das AG wies die Klage ab. Das Urteil wurde dem Kläger am 12.7.2021 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 6.8.2021 (am selben Tag beim LG eingegangen) legte der Kläger Berufung ein. Die Berufungsschrift, der eine Abschrift des erstinstanzlichen Urteils beigefügt war, lautet wie folgt:
"In Sachen
R[...] K[...],
[Adresse]
- Kläger/Berufungskläger -
Prozessbev.: [...]
g e g e n
N[...] P[...]
[Adresse]
- Beklagte/Berufungsbeklagte -
Prozessbev.: [...]
legen wir namens des Klägers und Berufungsklägers gegen das am 05.07.2021 verkündete und am 12.07.2021 zugestellte Urteil des Amtsgerichts [...], Az. [...]
B e r u f u n g
ein.
Anträge und Begründung bleiben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten.
Eine beglaubigte Fotokopie des angefochtenen Urteils ist beigefügt."
Mit am 2.9.2021 eingegangenem Schriftsatz vom 1.9.2021 begründete der Kläger die Berufung "in Sachen K[...], R[...] ./. P[...], N[...] u.a." und beantragte die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils gegen beide Beklagten. Das LG verwarf nach einem Hinweis, dass es die Zulässigkeit der Berufung für problematisch erachte, die Berufung gegen beide Beklagten mit Beschluss vom 26.9.2022 als unzulässig.
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Das LG hat die in § 519 Abs. 2 ZPO enthaltenen Anforderungen an eine Berufungsschrift überspannt.
Zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 ZPO gehört die Mitteilung, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wird. Dabei sind allerdings an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners nach ständiger BGH-Rechtsprechung weniger strenge Anforderungen zu stellen als an die Bezeichnung des Rechtsmittelführers. Jedenfalls in denjenigen Fallgestaltungen, in denen der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen besteht, richtet sich das Rechtsmittel im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung und somit gegen alle gegnerischen Streitgenossen, es sei denn, die Rechtsmittelschrift lässt eine Beschränkung der Anfechtung erkennen. Eine solche Beschränkung kann sich, wenn auf der Gegenseite mehrere Streitgenossen stehen, zwar auch daraus ergeben, dass in der Rechtsmittelschrift nur einige von ihnen angegeben werden. Dies ist jedoch nicht zwingend. Der BGH hat eine unbeschränkte Berufungseinlegung auch in Fällen bejaht, in denen als Rechtsmittelgegner nur einer von mehreren Streitgenossen, und zwar der im Urteilsrubrum an erster Stelle Stehende, genannt wurde.
Nach diesen Grundsätzen hat das LG zu Unrecht angenommen, dass der Kläger mit der Berufungsschrift vom 6.8.2021 nur Berufung gegen die Beklagte zu 1) und nicht auch gegen die Beklagte zu 2) eingelegt hat. Aus der Berufungsschrift ergibt sich unter Berücksichtigung des ihr beigefügten Urteils des AG und des sich daraus ergebenden Sachverhalts, dass sich die Berufung gegen beide Beklagten richtet. In der Berufungsschrift ist zwar ausdrücklich nur die Beklagte zu 1), also die im Rubrum des Urteils des AG auf Beklagtenseite an erster Stelle Stehende, als Berufungsbeklagte genannt. Weitere Angaben, aus denen eindeutig zu schließen wäre, dass sich die Berufung nur gegen die Beklagte zu 1) als eine von mehreren Streitgenossen richten soll, finden sich dort aber nicht. Insbesondere enthält die Berufungsschrift keine Berufungsanträge, aus denen sich Entsprechendes ergäbe. Daher ist im Zweifel davon auszugehen, dass sich die Berufung auch gegen die Beklagte zu 2) richtet.
Auch nach den Umständen des Falles ist die Beschränkung des Rechtsmittelangriffs auf die Beklagte zu 1) als fernliegend anzusehen. Denn dem der Berufungsschrift beigefügten Urteil des AG kann entnommen werden, dass der Kläger mit seiner Klage die Beklagten als Gesamtschuldner, nämlich die Beklagte zu 1) als Halterin und Fahrerin eines Pkw und die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer, aus einem Verkehrsunfall in Anspruch nimmt. Anhaltspunkte für eine bei einer Anfechtung des Urteils zwischen den Beklagten zu 1) und 2) sinnvoll vorzunehmende Differenzierung liegen nicht vor. Aufgrund der Regelung des § 124 Abs. 1 VVG, nach der ein rechtskräftiges Urteil, das zwischen dem Geschädigten und dem Versicherer ergangen ist und durch das festgestellt wird, dass dem Geschädigten ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht, auch zugunsten des Versicherungsnehmers wirkt, wäre es vielmehr sinnlos und daher unverständlich, würde sich die Berufung des Klägers nur gegen die Beklagte zu 1), nicht aber gegen die Beklagte zu 2) richten.
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§ 519 Berufungsschrift
Heßler in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022
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