Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung
BGH v. 25.8.2020 - VI ZB 67/19
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines VW Golf im Jahr 2014 in Anspruch, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet war. Die Motorsteuerung war so programmiert, dass die Abgasrückführung auf dem Prüfstand in einen NOx-optimierten Betriebsmodus versetzt wurde, während sie außerhalb des Prüfstandes im Straßenverkehr im nicht NOx-optimierten Betriebsmodus operierte. Nach Bekanntwerden der Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware und Rückrufaufforderung durch das Kraftfahrtbundesamt wurde auf das streitgegenständliche Fahrzeug ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update aufgespielt.
Mit seiner Klage verlangte der Kläger die Zahlung eines Betrages von 2.800 € nebst Zinsen als Ausgleich für einen durch die Betroffenheit des Fahrzeugs von dem sog. "Dieselskandal" verursachten Minderwert des Fahrzeuges im Falle eines Weiterverkaufs. Daneben beantragte er festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weitere materiellen Schäden zu ersetzen, die aus der manipulierten Motorsoftware des von ihm erworbenen Fahrzeugs resultieren, und verlangte den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Gestützt hat der Kläger die geltend gemachten Ansprüche auf § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB.
Das LG wies die Klage ab. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein. Mit dem angefochtenen Beschluss verwarf das OLG die Berufung als unzulässig, da die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genüge. Es fehle an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung, weil sich der Kläger mit den die Abweisung tragenden Ausführungen des LG zur Unzulässigkeit und Unbegründetheit der Klage nicht auseinandergesetzt habe. Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Beurteilung des OLG, dass der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers inhaltlich nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO an eine Berufungsbegründung entspricht, ist nicht zu beanstanden.
Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind.
Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig. Bei einem teilbaren Streitgegenstand oder bei mehreren Streitgegenständen muss sich die Berufungsbegründung grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Änderung beantragt wird. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers nicht gerecht. Sie enthält hinsichtlich keiner der streitgegenständlichen prozessualen Ansprüche einen hinreichenden inhaltlichen Bezug zu den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils.
Im Hinblick auf den geltend gemachten Zahlungsanspruch geht bereits die Zusammenfassung der Entscheidungsgründe in der Berufungsbegründung, wonach nach Auffassung des LG die Beklagte weder arglistig getäuscht habe noch eine sittenwidrige Schädigung des Klägers vorliege, und die erste inhaltliche Rüge, das LG sehe die Voraussetzungen des Betrugstatbestandes nach § 263 Abs. 1 StGB zu Unrecht als nicht vorliegend an, am Inhalt des landgerichtlichen Urteils vorbei. Denn das LG hat sich mit den tatbestandlichen Voraussetzungen der in Betracht kommenden deliktischen Ansprüche nicht befasst, sondern die Klageabweisung hinsichtlich des geltend gemachten Ersatzanspruches wegen des angeblichen merkantilen Minderwertes des Fahrzeuges ausschließlich damit begründet, dass diese Position nach den vom Kläger herangezogenen Anspruchsgrundlagen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ersatzfähig ist. Die Berufungsbegründung lässt nicht erkennen, welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe sie den hierzu vom LG angeführten Argumenten entgegensetzen will.
Hinsichtlich des vom LG für unzulässig gehaltenen Feststellungsantrags bringt die Berufungsbegründung vor, aufgrund des Einbaus der Optimierungssoftware bestehe die Möglichkeit, dass zukünftig Schäden am Fahrzeug entstehen könnten, und verweist hierzu auf landgerichtliche Rechtsprechung, wonach "nicht auszuschließen" bzw. "keineswegs abwegig" sei, dass die Beseitigung der Manipulationssoftware negative Auswirkungen auf Fahrzeug und Fahrleistungen haben könne. Die Berufungsbegründung setzt aber der maßgeblichen Erwägung des LG nichts entgegen, wonach eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende - bei reinen Vermögensschäden für die Zulässigkeit der Feststellungsklage notwendige - hinreichende Wahrscheinlichkeit solcher Schäden vom Kläger nicht dargelegt sei. Auch in diesem Zusammenhang wird im Übrigen das Übergehen eines Beweisangebotes nicht gerügt.
BGH online
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines VW Golf im Jahr 2014 in Anspruch, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet war. Die Motorsteuerung war so programmiert, dass die Abgasrückführung auf dem Prüfstand in einen NOx-optimierten Betriebsmodus versetzt wurde, während sie außerhalb des Prüfstandes im Straßenverkehr im nicht NOx-optimierten Betriebsmodus operierte. Nach Bekanntwerden der Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware und Rückrufaufforderung durch das Kraftfahrtbundesamt wurde auf das streitgegenständliche Fahrzeug ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update aufgespielt.
Mit seiner Klage verlangte der Kläger die Zahlung eines Betrages von 2.800 € nebst Zinsen als Ausgleich für einen durch die Betroffenheit des Fahrzeugs von dem sog. "Dieselskandal" verursachten Minderwert des Fahrzeuges im Falle eines Weiterverkaufs. Daneben beantragte er festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weitere materiellen Schäden zu ersetzen, die aus der manipulierten Motorsoftware des von ihm erworbenen Fahrzeugs resultieren, und verlangte den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Gestützt hat der Kläger die geltend gemachten Ansprüche auf § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB.
Das LG wies die Klage ab. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein. Mit dem angefochtenen Beschluss verwarf das OLG die Berufung als unzulässig, da die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genüge. Es fehle an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung, weil sich der Kläger mit den die Abweisung tragenden Ausführungen des LG zur Unzulässigkeit und Unbegründetheit der Klage nicht auseinandergesetzt habe. Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Beurteilung des OLG, dass der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers inhaltlich nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO an eine Berufungsbegründung entspricht, ist nicht zu beanstanden.
Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind.
Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig. Bei einem teilbaren Streitgegenstand oder bei mehreren Streitgegenständen muss sich die Berufungsbegründung grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Änderung beantragt wird. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers nicht gerecht. Sie enthält hinsichtlich keiner der streitgegenständlichen prozessualen Ansprüche einen hinreichenden inhaltlichen Bezug zu den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils.
Im Hinblick auf den geltend gemachten Zahlungsanspruch geht bereits die Zusammenfassung der Entscheidungsgründe in der Berufungsbegründung, wonach nach Auffassung des LG die Beklagte weder arglistig getäuscht habe noch eine sittenwidrige Schädigung des Klägers vorliege, und die erste inhaltliche Rüge, das LG sehe die Voraussetzungen des Betrugstatbestandes nach § 263 Abs. 1 StGB zu Unrecht als nicht vorliegend an, am Inhalt des landgerichtlichen Urteils vorbei. Denn das LG hat sich mit den tatbestandlichen Voraussetzungen der in Betracht kommenden deliktischen Ansprüche nicht befasst, sondern die Klageabweisung hinsichtlich des geltend gemachten Ersatzanspruches wegen des angeblichen merkantilen Minderwertes des Fahrzeuges ausschließlich damit begründet, dass diese Position nach den vom Kläger herangezogenen Anspruchsgrundlagen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ersatzfähig ist. Die Berufungsbegründung lässt nicht erkennen, welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe sie den hierzu vom LG angeführten Argumenten entgegensetzen will.
Hinsichtlich des vom LG für unzulässig gehaltenen Feststellungsantrags bringt die Berufungsbegründung vor, aufgrund des Einbaus der Optimierungssoftware bestehe die Möglichkeit, dass zukünftig Schäden am Fahrzeug entstehen könnten, und verweist hierzu auf landgerichtliche Rechtsprechung, wonach "nicht auszuschließen" bzw. "keineswegs abwegig" sei, dass die Beseitigung der Manipulationssoftware negative Auswirkungen auf Fahrzeug und Fahrleistungen haben könne. Die Berufungsbegründung setzt aber der maßgeblichen Erwägung des LG nichts entgegen, wonach eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende - bei reinen Vermögensschäden für die Zulässigkeit der Feststellungsklage notwendige - hinreichende Wahrscheinlichkeit solcher Schäden vom Kläger nicht dargelegt sei. Auch in diesem Zusammenhang wird im Übrigen das Übergehen eines Beweisangebotes nicht gerügt.