14.10.2024

Zu spät zum Termin aufgebrochen und Ausweis nicht dabei: Keine Wiedereinsetzung

Der AGH NRW hat den Wiedereinsetzungsantrag einer Rechtsanwältin in der Berufungsinstanz abgelehnt. Die Anwältin hatte einen Gerichtstermin versäumt, was nach Ansicht des AGH u.a. deshalb nicht unverschuldet geschah, da sie zu spät aufgebrochen war. Für eine weitere Verzögerung an der Sicherheitsschleuse sei sie außerdem selbst verantwortlich gewesen, da sie ihren Anwaltsausweis nicht dabei gehabt habe.

AGH NRW v. 5.9.2024 - 2 AGH 1/24
Der Sachverhalt:
Die Anwältin erreichte den Gerichtssaal mit einer Verspätung von 45 Minuten. Das AG lehnte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab, ebenso der AGH in der Berufungsinstanz.

Die Gründe:
Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unbegründet. Eine Rechtsanwältin, die weiß, um 13.00 Uhr in Hamm (Westf.) zu einem Termin erscheinen zu müssen, handelt sorgfaltswidrig, wenn sie erst 75 Minuten zuvor mit dem Pkw von C. aus zu diesem Termin aufbricht. Für eine Autofahrt von 75 Kilometern zwischen Kanzlei und Gerichtsgebäude nur 75 Minuten Fahrtzeit einzuplanen, setzt für ein rechtzeitiges Erreichen des Zielortes schon rein rechnerisch eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 km/h voraus. Innerstädtisch ist diese Geschwindigkeit nicht gestattet; dortige Verzögerungen müssten also außerorts vollständig kompensiert werden, was an einem Freitagmittag - quer durch das gerichtsbekannt aktuell zusätzlich von Baustellen durchzogene Ruhrgebiet - von vornherein ausgeschlossen erscheint. Eine solche Planung der Anfahrzeit ist namentlich dann unzureichend, wenn die Rechtsanwältin nicht über ein funktionsfähiges Mobiltelefon verfügt, mit dem sie eine etwaige unvorhersehbare Verzögerung an das Gericht mitteilen könnte. Zu den zumutbaren Maßnahmen für den Rechtsanwalt zählt im Übrigen auch, notfalls eine Tankstelle oder ein Rastplatz anzufahren, um das Gericht von dort aus über eine drohende verspätete Ankunft telefonisch zu unterrichten (vgl. OLG Celle v. 24.6.2004 - 11 U 57/04).

Eine solche potentielle Verzögerung für das Erreichen des Gerichtssaales lag zudem auch in dem Umstand, dass die bloße Anfahrt an das Gerichtsgebäude mit einem Zutritt zu dem Gerichtssaal notwendig nicht identisch ist. Für das Parken des eigenen Pkw und für den Fußweg von dem Parkplatz in den Saal hätte eine sorgfältige Planung weitere Zeiträume berücksichtigen müssen.

Das Mitführen des Rechtsanwaltsausweises ist eine Sorgfaltspflicht, die auch dem hindernisfreien und mithin rechtzeitigen Zugang zu dem Gerichtssaal zu dienen bestimmt ist. Weiß ein Rechtsanwalt, dass er seinen Rechtsanwaltsausweis nicht bei sich führt, hat er dies bei seiner Anreiseplanung zeitlich einzukalkulieren. Führt er seinen Ausweis unwissentlich nicht bei sich, hat er sich vorhalten zu lassen, insoweit nicht ordnungsgerecht für den Zutritt zu Gericht vorbereitet gewesen zu sein. Das gilt namentlich dann, wenn der Rechtsanwalt nicht einmal hoffen kann, Bediensteten in der Sicherheitsschleuse von Person bekannt zu sein. Genau hiervon war im vorliegenden Fall aber für die Antragstellerin auszugehen, die nach eigenem Vortrag im Anschluss an das Betreten des Gerichtsgebäudes zunächst noch fußläufig in einen unzutreffenden Gebäudetrakt ging, bis sie den Saal schlussendlich mit knapp dreiviertelstündiger Verspätung gegenüber der Ladungszeit erreichte. Nur der Ortsunkundige verläuft sich in einem Gerichtsgebäude. Ortsunkundige sind bei Gericht aber denknotwendig nicht erwartbar von Person bekannt. Folglich schied für die Antragstellerin auch a priori aus, eine ausweislos zügige Zugangsabwicklung in das Gerichtsgebäude erhoffen zu können.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Rechtsprechungsübersicht zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Norbert Vossler, MDR 2024, 474

Rechtsprechung:
Wiedereinsetzung: Schlüsselverlegung und Fristversäumnis
BGH vom 11.07.2024 - IX ZB 31/23
Hans Christian Schwenker, MDR 2024, 1165

Rechtsprechung:
Kein zweites Versäumnisurteil bei im Termin telefonisch angekündigtem verspätetem Erscheinen wegen Flugverspätung
OLG Rostock vom 28.4.2006 - 3 U 163/05

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