23.09.2024

Zu verschiedenen Fragen betreffend § 64 Abs. 3 FamFG

Dem Beschwerdegericht kommt im Rahmen des § 64 Abs. 3 FamFG sowohl ein Auswahl- als auch bereits ein Entschließungsermessen zu.

OLG Rostock v. 1.8.2024 - 10 UF 74/24
Der Sachverhalt:
Gegenstand des Verfahrens ist die elterliche Sorge für den gemeinsamen aktuell zehn Jahre alten Sohn der beteiligten Eltern, der bei der Kindesmutter in lebt, wo diese nach der Trennung der Kindeseltern ein Einfamilienhaus errichtet hat. Der Kindesvater hat Umgang mit seinem Sohn, und zwar an jedem zweiten Wochenende von Mittwoch bis Montag. Unter Ausweitung um eine weitere Übernachtung von Mittwoch auf Donnerstag haben sich die Kindeseltern auf diesen Modus in der nichtöffentlichen Sitzung des Amtsgerichts Rostock im vorliegenden Verfahren am 1.3.2024 verständigt; zuvor erstreckte sich der Regelumgang jeweils von Donnerstag bis Montag.

Das vorliegende Verfahren wurde durch den Kindesvater vor nunmehr beinahe drei Jahren initiiert. Gestützt auf § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB beantragte er, die bis dahin beiden Eltern gemeinschaftlich zustehende elterliche Sorge insgesamt auf ihn allein zu übertragen. Außerdem beantragte der Kindesvater, ihn zu berechtigen, den gemeinsamen Sohn unter seiner Adresse hauptwohnsitzlich an- bzw. dorthin umzumelden. Zur Begründung verwies der Kindesvater auf massive Konflikte zwischen den beiden Elternteilen, die sich seit Anfang 2020 erheblich potenziert hätten. Die Kindesmutter sei nicht bereit, mit ihm - dem Kindesvater - Belange des gemeinsamen Kindes zu erörtern. Die Kindesmutter trat den Anträgen des Kindesvaters entgegen und beantragte ihrerseits, ihr die alleinige elterliche Sorge zu übertragen.

Das AG entzog gestützt auf §§ 1666, 1666a BGB, beiden Elternteilen das Recht der Gesundheitsfürsorge sowie das Recht zur Regelung der Freizeitaktivitäten bzgl. des Fußballvereins, ordnete insofern Ergänzungspflegschaft an und übertrug die entzogenen Rechte auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger. Ferner entzog es (nur) dem Kindesvater das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten und stellte insofern darauf ab, diesbezüglich - also beschränkt auf die schulischen Angelegenheiten - übe die Kindesmutter auf der Grundlage von § 1680 BGB die elterliche Sorge nunmehr allein aus.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. In der Sache hielt er seine Anträge im Wesentlichen aufrecht und beantragte zudem, im Wege einstweiliger Anordnung die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses vorläufig auszusetzen.

Das OLG wies den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab.

Die Gründe:
Für die vom Kindesvater beantragte Vollzugsaussetzung - die sich nur auf § 64 Abs. 3 FamFG stützen kann - ist im Ergebnis kein Raum.

Unter Berücksichtigung des dem Senat durch die Kann-Bestimmung des § 64 Abs. 3 FamFG eingeräumten - neben dem konkreten Inhalt einer etwaigen einstweiligen Anordnung bereits deren grundsätzliches "Ob" betreffenden und grundsätzlich weiten - (Entschließungs- und Auswahl-) Ermessens erscheint eine Aussetzung der Vollziehung (§ 64 Abs. 3, 2. Halbsatz FamFG) nicht angezeigt. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Beschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, der Beschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre.

Ausgehend von diesem Maßstab ist eine Anordnung zur Vollzugsaussetzung nicht veranlasst. Bzgl. des Aufenthaltsbestimmungsrechts kann eine Vollzugsaussetzung schon im Ansatz und damit unabhängig von Prognose- oder Ermessensgesichtspunkten nicht in Betracht kommen, weil das AG insofern schlicht keine Entscheidung (über den Antrag nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB) getroffen bzw. (soweit man auf § 1671 Abs. 4 i.V.m. §§ 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB abstellen wollte) allenfalls implizit entschieden hat, dass familiengerichtliche Maßnahmen diesbezüglich nicht veranlasst sind, soweit man einen solchen Ausspruch, den jedenfalls der Entscheidungssatz nicht hergibt, aus den Beschlussgründen überhaupt ablesen kann und will. Eine positive - den Ist-Zustand verändernde - (echte) Regelung, die auf der Grundlage des § 64 Abs. 3 FamFG im Sinne einer einstweiligen Wiederherstellung des Status quo ante suspendiert werden könnte, liegt damit (so oder so) nicht vor.

Eine sichere Prognose zum Sachausgang (im Übrigen) dürfte sich gegenwärtig nicht anstellen lassen. Weitestgehend als gesetzt gelten kann indes schon jetzt, dass für eine Beibehaltung eines gemeinsamen Sorgerechts in den Bereichen, in denen der angefochtene Beschluss auf Sorgerechtsentzug erkennt, kein Raum besteht. Die Hochstrittigkeit im Verhältnis zwischen den beiden Elternteilen, die mit den Belangen ihres gemeinsamen Kindes jenseits "harmloser" Alltagsfragen diametral unterschiedlich umgehen, hierüber nicht konstruktiv kommunizieren können und den Sohn in ihrem Konflikt mit bereits erkennbar pathologischen Folgen "zerreiben", ist unstreitig und nach Aktenlage auch ohne Weiteres greifbar. Bei dieser Sachlage wird der Konflikt absehbar nur durch die Schaffung eines alleinigen Sorgerechts - in den betreffenden Bereichen - aufzulösen sein und aufgelöst werden müssen. Dieser funktional erste Schritt - Beendigung der gemeinsamen Berechtigung beider Elternteile - ergäbe sich sowohl bei Anwendung von § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB als auch auf der Basis des § 1671 Abs. 4 i.V.m. § 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB.

Tendenziell bzw. nach Aktenlage könnte zum jetzigen Zeitpunkt mehr dafür sprechen, dass dem AG auch in Bezug auf den zweiten Schritt jedenfalls insofern zu folgen sein dürfte, als die Bereiche der Gesundheitssorge und der Freizeitfragen, soweit sie die Mitgliedschaft in einem Fußballverein betreffen, beiden Elternteilen zu entziehen sind, sich also letztlich der in § 1671 Abs. 4 BGB verankerte Vorrang der §§ 1666 f. BGB durchsetzt. Gleichwohl erscheint die Sache insofern im Ergebnis derzeit offen. Ob der Ausspruch bzgl. der schulischen Angelegenheiten, die das AG nur dem Vater entzogen hat, Bestand haben kann, erscheint aus vorläufiger Sicht ebenfalls offen. Es erschiene unabhängig davon wenig sachgerecht, durch eine Eilentscheidung ggf. ein Hin- und Her für das Kind zu erzeugen, das erkennbar erleichtert ist, dass und wenn der Elternkonflikt durch die Auflösung gemeinsamer Sorgeberechtigungen (insbesondere, aber nicht nur zu Gunsten eines neutralen Dritten) entschärft und insofern der Druck von ihm selbst - dem Kind - genommen wird.

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Abramenko in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
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Rechtsprechung (die vorliegende Entscheidung)
Beschluss
OLG Rostock vom 01.08.2024 - 10 UF 74/24

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