Zum Vorliegen eines Gehörsverstoßes in einem Schadensersatzprozess
BGH v. 11.7.2023 - VI ZR 256/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung die Beklagten zu 1) und 2) auf Aufwendungsersatz im Hinblick auf von der Klägerin an ihren Versicherten (Geschädigten) erbrachte Leistungen aufgrund eines Arbeitsunfalls in Anspruch. Bzgl. der Beklagten zu 3) begehrt die Klägerin Feststellung von Deckungsschutz gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) nach Maßgabe des mit dem Arbeitgeber der Beklagten zu 1) und 2) geschlossenen Versicherungsvertrages.
Die Beklagten zu 1) und 2) waren zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfalls Mitarbeiter der R. GmbH & Co. KG, der Beklagte zu 1) als Key Account Manager und der Beklagte zu 2) als Vorarbeiter. Die Firma R. hatte gegenüber der C. Erfrischungsgetränke AG die Verpflichtung übernommen, an mehreren von der C. AG betriebenen Standorten leere 1,5 Liter-Mehrweg-Flaschen aus PET und die dazugehörigen Kisten zu entsorgen bzw. zu verwerten. An einem Standort in Berlin kam hierzu eine vom Arbeitgeber der Beklagten zu 1) und 2) entwickelte Kastenwendeanlage zum Einsatz. Diese bestand u.a. aus dem turmartigen Kastenwender sowie zwei Förderbandelementen.
Es entstand das Bedürfnis, die bereits - durch eine Drittfirma - aufgestellte Anlage zeitnah umzusetzen. Daher suchten die Beklagten zu 1) und 2) nach einer Lösung, wie dies ohne den Montagetrupp der Drittfirma durchgeführt werden könnte. Sie beschlossen, dass der Beklagte zu 2) die Anlage mit dem Geschädigten, der im Rahmen einer Überlassungsvereinbarung als Leiharbeiter für die Firma R. tätig war, und einem weiteren Leiharbeiter drehen sollte. Hierzu trennten der Beklagte zu 2) und die beiden Leiharbeiter am 28.9.2015 zunächst die einzelnen Teile der Anlage voneinander. Der Beklagte zu 2) bat einen Gabelstaplerfahrer, den Kastenwender zu verlagern. Die Förderbänder ließen sich auf diese Art jedoch nicht transportieren. Hierzu benutzten der Beklagte zu 2) und die Leiharbeiter zwei Gabelhubwagen (Handhubwagen), die sie vorne und hinten unter die die Förderbandelemente jeweils tragenden Ständerwerke stellten und dann gemeinsam vorwärts schoben. Nachdem der Beklagte zu 2) mit dem Geschädigten das erste Förderband erfolgreich versetzt hatte, kippte das zweite Förderband beim Transport durch den Geschädigten und den weiteren Leiharbeiter auf den Geschädigten und verletzte diesen schwer.
Das LG wies die Klage nach Beweisaufnahme ab. Das KG gab der Klage unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Geschädigten i.H.v. 25 % teilweise statt; Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zu 1) hob der BGH den Beschluss des KG auf, soweit zum Nachteil des Beklagten zu 1) entschieden worden ist, und verwies die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück. Die Nichtzulassungsbeschwerden des Beklagten zu 2) und der Beklagten zu 3) hatten keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das KG hat den Anspruch des Beklagten zu 1) auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat. Davon ist etwa dann auszugehen, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingegangen ist, sofern er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts nicht unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert gewesen ist.
So liegt es hier. Die Beurteilung des KG, der Beklagte zu 1) habe den Beklagten zu 2) auffordern müssen, von dem "gefährlichen Plan" Abstand zu nehmen, setzt die Kenntnis des Beklagten zu 1) davon voraus, dass die Förderbänder der Kastenwendeanlage in der vom KG als grob fahrlässig angesehenen Art und Weise, die das KG gerade in dem Transportversuch mittels Handhubwagen gesehen hat, umgesetzt werden sollten. Insoweit verweist die Beschwerde zu Recht auf den Vortrag der Beklagten, wonach am Unfalltag zunächst versucht worden sei, mittels eines Gabelstaplers - vom KG selbst als sichere Transportmöglichkeit bezeichnet - die Anlagenteile umzusetzen, was jedoch nur hinsichtlich des eigentlichen Kastenwenders gelungen sei. Die anderen Teile seien für den zur Verfügung stehenden Stapler zu schwer gewesen. Man sei deshalb dazu übergegangen, die Förderbänder mittels zweier Hubwagen zu versetzen.
Aus den Erwägungen des KG ergibt sich eindeutig, dass es dieses - nach den vom KG in Bezug genommenen tatbestandlichen Feststellungen des LG unstreitige - Vorbringen aus dem Blick verloren hat. Anders lässt sich die Auffassung des KG nicht erklären, der - nicht vor Ort befindliche - Beklagte zu 1) habe den Beklagten zu 2) auffordern müssen, von dem gefährlichen Plan Abstand zu nehmen, obwohl dieser erst vor Ort in Reaktion auf das Fehlschlagen des ersten Transportversuchs gefasst wurde. Dass ein solches Vorgehen bereits vorab auch vom Beklagten zu 1) als mögliche Variante ins Auge gefasst oder am Tag des Unfalls dem Beklagten zu 1) vom Beklagten zu 2) vorgeschlagen worden wäre, hat das KG nicht festgestellt. Die Annahme des KG, der Beklagte zu 1) habe den Beklagten zu 2) in seinem Vorgehen bestärkt, findet daher in den tatsächlichen Feststellungen des KG keine Stütze.
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Kommentierung | ZPO
§ 544 Nichtzulassungsbeschwerde
Heßler in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022
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Die Klägerin nimmt als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung die Beklagten zu 1) und 2) auf Aufwendungsersatz im Hinblick auf von der Klägerin an ihren Versicherten (Geschädigten) erbrachte Leistungen aufgrund eines Arbeitsunfalls in Anspruch. Bzgl. der Beklagten zu 3) begehrt die Klägerin Feststellung von Deckungsschutz gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) nach Maßgabe des mit dem Arbeitgeber der Beklagten zu 1) und 2) geschlossenen Versicherungsvertrages.
Die Beklagten zu 1) und 2) waren zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfalls Mitarbeiter der R. GmbH & Co. KG, der Beklagte zu 1) als Key Account Manager und der Beklagte zu 2) als Vorarbeiter. Die Firma R. hatte gegenüber der C. Erfrischungsgetränke AG die Verpflichtung übernommen, an mehreren von der C. AG betriebenen Standorten leere 1,5 Liter-Mehrweg-Flaschen aus PET und die dazugehörigen Kisten zu entsorgen bzw. zu verwerten. An einem Standort in Berlin kam hierzu eine vom Arbeitgeber der Beklagten zu 1) und 2) entwickelte Kastenwendeanlage zum Einsatz. Diese bestand u.a. aus dem turmartigen Kastenwender sowie zwei Förderbandelementen.
Es entstand das Bedürfnis, die bereits - durch eine Drittfirma - aufgestellte Anlage zeitnah umzusetzen. Daher suchten die Beklagten zu 1) und 2) nach einer Lösung, wie dies ohne den Montagetrupp der Drittfirma durchgeführt werden könnte. Sie beschlossen, dass der Beklagte zu 2) die Anlage mit dem Geschädigten, der im Rahmen einer Überlassungsvereinbarung als Leiharbeiter für die Firma R. tätig war, und einem weiteren Leiharbeiter drehen sollte. Hierzu trennten der Beklagte zu 2) und die beiden Leiharbeiter am 28.9.2015 zunächst die einzelnen Teile der Anlage voneinander. Der Beklagte zu 2) bat einen Gabelstaplerfahrer, den Kastenwender zu verlagern. Die Förderbänder ließen sich auf diese Art jedoch nicht transportieren. Hierzu benutzten der Beklagte zu 2) und die Leiharbeiter zwei Gabelhubwagen (Handhubwagen), die sie vorne und hinten unter die die Förderbandelemente jeweils tragenden Ständerwerke stellten und dann gemeinsam vorwärts schoben. Nachdem der Beklagte zu 2) mit dem Geschädigten das erste Förderband erfolgreich versetzt hatte, kippte das zweite Förderband beim Transport durch den Geschädigten und den weiteren Leiharbeiter auf den Geschädigten und verletzte diesen schwer.
Das LG wies die Klage nach Beweisaufnahme ab. Das KG gab der Klage unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Geschädigten i.H.v. 25 % teilweise statt; Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zu 1) hob der BGH den Beschluss des KG auf, soweit zum Nachteil des Beklagten zu 1) entschieden worden ist, und verwies die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück. Die Nichtzulassungsbeschwerden des Beklagten zu 2) und der Beklagten zu 3) hatten keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das KG hat den Anspruch des Beklagten zu 1) auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat. Davon ist etwa dann auszugehen, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingegangen ist, sofern er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts nicht unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert gewesen ist.
So liegt es hier. Die Beurteilung des KG, der Beklagte zu 1) habe den Beklagten zu 2) auffordern müssen, von dem "gefährlichen Plan" Abstand zu nehmen, setzt die Kenntnis des Beklagten zu 1) davon voraus, dass die Förderbänder der Kastenwendeanlage in der vom KG als grob fahrlässig angesehenen Art und Weise, die das KG gerade in dem Transportversuch mittels Handhubwagen gesehen hat, umgesetzt werden sollten. Insoweit verweist die Beschwerde zu Recht auf den Vortrag der Beklagten, wonach am Unfalltag zunächst versucht worden sei, mittels eines Gabelstaplers - vom KG selbst als sichere Transportmöglichkeit bezeichnet - die Anlagenteile umzusetzen, was jedoch nur hinsichtlich des eigentlichen Kastenwenders gelungen sei. Die anderen Teile seien für den zur Verfügung stehenden Stapler zu schwer gewesen. Man sei deshalb dazu übergegangen, die Förderbänder mittels zweier Hubwagen zu versetzen.
Aus den Erwägungen des KG ergibt sich eindeutig, dass es dieses - nach den vom KG in Bezug genommenen tatbestandlichen Feststellungen des LG unstreitige - Vorbringen aus dem Blick verloren hat. Anders lässt sich die Auffassung des KG nicht erklären, der - nicht vor Ort befindliche - Beklagte zu 1) habe den Beklagten zu 2) auffordern müssen, von dem gefährlichen Plan Abstand zu nehmen, obwohl dieser erst vor Ort in Reaktion auf das Fehlschlagen des ersten Transportversuchs gefasst wurde. Dass ein solches Vorgehen bereits vorab auch vom Beklagten zu 1) als mögliche Variante ins Auge gefasst oder am Tag des Unfalls dem Beklagten zu 1) vom Beklagten zu 2) vorgeschlagen worden wäre, hat das KG nicht festgestellt. Die Annahme des KG, der Beklagte zu 1) habe den Beklagten zu 2) in seinem Vorgehen bestärkt, findet daher in den tatsächlichen Feststellungen des KG keine Stütze.
Kommentierung | ZPO
§ 544 Nichtzulassungsbeschwerde
Heßler in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022
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