Zum Zugang einer E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr
BGH v. 6.10.2022 - VII ZR 895/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung restlichen Werklohns i.H.v. rd. 7.800 €. Im August 2016 beauftragte die Beklagte die Klägerin mit der Erbringung von Metallbau- und Fassadenbegrünungsarbeiten am Bauvorhaben M in B. Nach Ausführung der Arbeiten rechnete die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Betrag i.H.v. rd. 254.000 € netto ab. Die Beklagte sandte der Klägerin eine Abrechnungsvereinbarung zu und wies als Schlusszahlung einen Betrag i.H.v. rd 14.500 € an.
Wegen von der Beklagten vorgenommener Kürzungen an abgerechneten Nachtragspositionen widersprach die Klägerin der Schlusszahlung und forderte die Beklagte im November 2018 schriftlich zu einer weiteren Zahlung i.H.v. rd. 14.300 € nebst Anwaltskosten i.H.v. rd. 1.000 € auf. Die Beklagte bot der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 13.12.2018 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Zahlung in dieser Höhe zur Erledigung der Angelegenheit an. Die Klägerin antwortete mit E-Mail ihres anwaltlichen Vertreters vom 14.12.2018, 9:19 Uhr, die Forderung aus der Schlussrechnung belaufe sich mit Ausnahme des Sicherheitseinbehalts noch auf rd. 14.300 €. Eine weitere Forderung werde nicht erhoben. Ferner sei der geltend gemachte Verzugsschaden in Höhe der Anwaltskosten zahlbar und fällig. Mit weiterer E-Mail vom 14.12.2018, 9:56 Uhr, erklärten die anwaltlichen Vertreter der Klägerin gegenüber der Beklagten, eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe durch die Klägerin sei noch nicht erfolgt; die E-Mail von 9:19 Uhr müsse daher unberücksichtigt bleiben. Sie könnten derzeit nicht bestätigen, dass mit Zahlung des in dem Schreiben angeforderten Betrags keine weiteren Forderungen erhoben würden.
Unter dem 17.12.2018 legte die Klägerin eine Schlussrechnung über eine Restforderung i.H.v. rd. 22.200 € vor. Die Beklagte überwies an die Klägerin am 21.12.2018 einen Betrag von rd. 14.300 € auf die Hauptforderung sowie weitere rd. 1.000 € auf die Rechtsanwaltskosten. Mit der Klage macht die Klägerin den Differenzbetrag i.H.v. rd. 7.800 € geltend.
LG und KG wiesen die Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Zu Recht hat das KG angenommen, dass der Klägerin der mit der Klage geltend gemachte Restwerklohnanspruch nicht zusteht. Mit der von der Beklagten am 21.12.2018 bewirkten Zahlung i.H.v. insgesamt rd. 15.400 € ist zwischen den Parteien ein Vergleich des Inhalts wirksam zustande gekommen, dass damit weitere Forderungen der Klägerin aus dem Vertrag der Parteien vom 19.8.2016 erloschen sind.
Die Klägerin hat der Beklagten mit E-Mail ihrer anwaltlichen Vertreter vom 14.12.2018, 9:19 Uhr ein wirksames Angebot auf Abschluss eines Vergleichs i.S.d. § 779 BGB mit dem Inhalt unterbreitet, dass weitere Forderungen nicht erhoben würden, wenn die Beklagte einen restlichen Werklohn i.H.v. rd. 14.300 € und den Verzugsschaden in Höhe der Rechtsanwaltskosten, die sich unstreitig auf rd. 1.000 € belaufen, zahlt. Die Beklagte hat dieses Angebot durch die von ihr am 21.12.2018 zur Anweisung gebrachte Zahlung in Höhe von insgesamt rd. 15.400 € wirksam gem. § 147 Abs. 2 BGB angenommen. Die Klägerin war an das mit E-Mail ihrer anwaltlichen Vertreter vom 14.12.2018, 9:19 Uhr, unterbreitete Angebot gem. § 145 BGB gebunden, als dieses von der Beklagten mit der am 21.12.2018 bewirkten Zahlung stillschweigend angenommen worden ist.
Das Angebot der Klägerin mit E-Mail vom 14.12.2018, 9:19 Uhr, auf Abschluss eines Vergleichs ist der Beklagten zu diesem Zeitpunkt gem. § 130 Abs. 1 BGB wirksam zugegangen. Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, gem. § 130 Abs. 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden setzt voraus, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Wann eine E-Mail als zugegangen gilt, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt.
Der Streitfall gibt jedoch keinen Anlass, die Rechtsfrage umfassend zu entscheiden. Jedenfalls für den hier gegebenen Fall, dass die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Denn damit ist die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich. Der mit E-Mail der Klägerin vom 14.12.2018, 9:56 Uhr, erklärte Widerruf des Vergleichsangebots war verspätet. Da das Vergleichsangebot der Klägerin der Beklagten am 14.12.2018, 9:19 Uhr, und damit innerhalb üblicher Geschäftszeiten wirksam zugegangen war, konnte die Klägerin dieses um 9:56 Uhr nicht mehr gem. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB wirksam widerrufen.
Die mit der am 21.12.2018 geleisteten Zahlung i.H.v. rd. 15.400 € erfolgte konkludente Annahme des Angebots seitens der Beklagten ist rechtzeitig gewesen. Eine Annahmefrist i.S.d. § 148 BGB ist von der Klägerin unstreitig nicht bestimmt worden. Gem. § 147 Abs. 2 BGB kann der einem Abwesenden gemachte Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Das KG hat angenommen, nach den gegebenen Umständen sei mit einer Antwort der Beklagten binnen einer Frist von zwei Wochen zu rechnen gewesen. Diese sei durch die binnen sieben Tagen erfolgte Zahlung der Beklagten, der ein Annahmewille zu entnehmen sei, gewahrt worden. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen und wird auch von der Revision nicht angegriffen.
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Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung restlichen Werklohns i.H.v. rd. 7.800 €. Im August 2016 beauftragte die Beklagte die Klägerin mit der Erbringung von Metallbau- und Fassadenbegrünungsarbeiten am Bauvorhaben M in B. Nach Ausführung der Arbeiten rechnete die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Betrag i.H.v. rd. 254.000 € netto ab. Die Beklagte sandte der Klägerin eine Abrechnungsvereinbarung zu und wies als Schlusszahlung einen Betrag i.H.v. rd 14.500 € an.
Wegen von der Beklagten vorgenommener Kürzungen an abgerechneten Nachtragspositionen widersprach die Klägerin der Schlusszahlung und forderte die Beklagte im November 2018 schriftlich zu einer weiteren Zahlung i.H.v. rd. 14.300 € nebst Anwaltskosten i.H.v. rd. 1.000 € auf. Die Beklagte bot der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 13.12.2018 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Zahlung in dieser Höhe zur Erledigung der Angelegenheit an. Die Klägerin antwortete mit E-Mail ihres anwaltlichen Vertreters vom 14.12.2018, 9:19 Uhr, die Forderung aus der Schlussrechnung belaufe sich mit Ausnahme des Sicherheitseinbehalts noch auf rd. 14.300 €. Eine weitere Forderung werde nicht erhoben. Ferner sei der geltend gemachte Verzugsschaden in Höhe der Anwaltskosten zahlbar und fällig. Mit weiterer E-Mail vom 14.12.2018, 9:56 Uhr, erklärten die anwaltlichen Vertreter der Klägerin gegenüber der Beklagten, eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe durch die Klägerin sei noch nicht erfolgt; die E-Mail von 9:19 Uhr müsse daher unberücksichtigt bleiben. Sie könnten derzeit nicht bestätigen, dass mit Zahlung des in dem Schreiben angeforderten Betrags keine weiteren Forderungen erhoben würden.
Unter dem 17.12.2018 legte die Klägerin eine Schlussrechnung über eine Restforderung i.H.v. rd. 22.200 € vor. Die Beklagte überwies an die Klägerin am 21.12.2018 einen Betrag von rd. 14.300 € auf die Hauptforderung sowie weitere rd. 1.000 € auf die Rechtsanwaltskosten. Mit der Klage macht die Klägerin den Differenzbetrag i.H.v. rd. 7.800 € geltend.
LG und KG wiesen die Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Zu Recht hat das KG angenommen, dass der Klägerin der mit der Klage geltend gemachte Restwerklohnanspruch nicht zusteht. Mit der von der Beklagten am 21.12.2018 bewirkten Zahlung i.H.v. insgesamt rd. 15.400 € ist zwischen den Parteien ein Vergleich des Inhalts wirksam zustande gekommen, dass damit weitere Forderungen der Klägerin aus dem Vertrag der Parteien vom 19.8.2016 erloschen sind.
Die Klägerin hat der Beklagten mit E-Mail ihrer anwaltlichen Vertreter vom 14.12.2018, 9:19 Uhr ein wirksames Angebot auf Abschluss eines Vergleichs i.S.d. § 779 BGB mit dem Inhalt unterbreitet, dass weitere Forderungen nicht erhoben würden, wenn die Beklagte einen restlichen Werklohn i.H.v. rd. 14.300 € und den Verzugsschaden in Höhe der Rechtsanwaltskosten, die sich unstreitig auf rd. 1.000 € belaufen, zahlt. Die Beklagte hat dieses Angebot durch die von ihr am 21.12.2018 zur Anweisung gebrachte Zahlung in Höhe von insgesamt rd. 15.400 € wirksam gem. § 147 Abs. 2 BGB angenommen. Die Klägerin war an das mit E-Mail ihrer anwaltlichen Vertreter vom 14.12.2018, 9:19 Uhr, unterbreitete Angebot gem. § 145 BGB gebunden, als dieses von der Beklagten mit der am 21.12.2018 bewirkten Zahlung stillschweigend angenommen worden ist.
Das Angebot der Klägerin mit E-Mail vom 14.12.2018, 9:19 Uhr, auf Abschluss eines Vergleichs ist der Beklagten zu diesem Zeitpunkt gem. § 130 Abs. 1 BGB wirksam zugegangen. Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, gem. § 130 Abs. 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden setzt voraus, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Wann eine E-Mail als zugegangen gilt, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt.
Der Streitfall gibt jedoch keinen Anlass, die Rechtsfrage umfassend zu entscheiden. Jedenfalls für den hier gegebenen Fall, dass die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Denn damit ist die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich. Der mit E-Mail der Klägerin vom 14.12.2018, 9:56 Uhr, erklärte Widerruf des Vergleichsangebots war verspätet. Da das Vergleichsangebot der Klägerin der Beklagten am 14.12.2018, 9:19 Uhr, und damit innerhalb üblicher Geschäftszeiten wirksam zugegangen war, konnte die Klägerin dieses um 9:56 Uhr nicht mehr gem. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB wirksam widerrufen.
Die mit der am 21.12.2018 geleisteten Zahlung i.H.v. rd. 15.400 € erfolgte konkludente Annahme des Angebots seitens der Beklagten ist rechtzeitig gewesen. Eine Annahmefrist i.S.d. § 148 BGB ist von der Klägerin unstreitig nicht bestimmt worden. Gem. § 147 Abs. 2 BGB kann der einem Abwesenden gemachte Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Das KG hat angenommen, nach den gegebenen Umständen sei mit einer Antwort der Beklagten binnen einer Frist von zwei Wochen zu rechnen gewesen. Diese sei durch die binnen sieben Tagen erfolgte Zahlung der Beklagten, der ein Annahmewille zu entnehmen sei, gewahrt worden. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen und wird auch von der Revision nicht angegriffen.
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