07.10.2024

Zur Änderung des Geschlechts und des Vornamens

Die Weigerung eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig erlangte Änderung des Vornamens und Geschlechts anzuerkennen, verstößt gegen die Rechte der Unionsbürger.

EuGH v. 4.10.2024 - C-4/23
Der Sachverhalt:
Der klagende rumänische Staatsbürger wurde bei seiner Geburt in Rumänien als weibliche Person registriert. Nach seinem Umzug in das Vereinigte Königreich im Jahr 2008 erwarb er (unter Beibehaltung seiner rumänischen Staatsangehörigkeit) die britische Staatsangehörigkeit und hielt dort seinen Wohnsitz. Im Jahr 2017 änderte er im Vereinigten Königreich seinen Vornamen und seine Anrede von weiblich zu männlich und im Jahr 2020 wurde seine männliche Geschlechtsidentität rechtlich anerkannt.

Im Mai 2021 beantragte der Kläger bei den rumänischen Verwaltungsbehörden auf der Grundlage von zwei im Vereinigten Königreich erhaltenen Dokumenten, mit denen diese Änderungen bescheinigt werden, die Eintragung von seiner männlichen Geschlechtszugehörigkeit entsprechenden Vermerken über die Änderung seines Vornamens, seines Geschlechts und seiner Personenidentifikationsnummer in seine Geburtsurkunde. Außerdem beantragte er die Ausstellung einer neuen Geburtsurkunde mit diesen neuen Angaben.

Die rumänischen Behörden lehnten diese Anträge jedoch ab und forderten ihn auf, ein neues Verfahren zur Änderung der Geschlechtsidentität vor den rumänischen Gerichten anzustrengen. Unter Berufung auf sein Recht, sich im Hoheitsgebiet der Union frei zu bewegen und aufzuhalten, beantragte der Kläger bei einem Gericht in Bukarest, die Angleichung seiner Geburtsurkunde an seinen neuen Vornamen und seine im Vereinigten Königreich bestandskräftig anerkannte Geschlechtsidentität anzuordnen.

Das mit der Sache befasste Gericht setzte das Verfahren aus und fragte den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens, ob die nationale Regelung, auf der die ablehnende Entscheidung der rumänischen Behörden beruht, mit dem Unionsrecht vereinbar ist und ob der Brexit Auswirkungen auf den Rechtsstreit hat.

Die Gründe:
Eine Regelung eines Mitgliedstaats, die es ablehnt, die Änderung des Vornamens und der Geschlechtsidentität eines Angehörigen dieses Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: im Vereinigten Königreich) rechtmäßig erlangt wurde, anzuerkennen und in die Geburtsurkunde des Betroffenen einzutragen, verstößt gegen das Unionsrecht. Dies gilt auch, wenn der Antrag auf Anerkennung dieser Änderung nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union gestellt wurde.

Die Änderung des Vornamens und der Geschlechtsidentität, die dem Rechtsstreit zugrunde liegt, wurde vor dem Brexit bzw. während der darauf folgenden Übergangszeit erlangt. Diese Änderung hat daher als in einem Mitgliedstaat der Union erlangt zu gelten. Dass das Vereinigte Königreich kein Mitgliedstaat der Union mehr ist, wirkt sich nicht auf die Anwendung des Unionsrechts in diesem Fall aus.

Die Weigerung eines Mitgliedstaats, eine in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig erlangte Änderung der Geschlechtsidentität anzuerkennen, behindert die Ausübung des Rechts, sich frei zu bewegen und aufzuhalten. Wie der Vorname stellt auch das Geschlecht ein grundlegendes Element der persönlichen Identität dar. Die Divergenz zwischen den Identitäten, die sich aus einer solchen Weigerung der Anerkennung ergeben, führt zu Schwierigkeiten beim Nachweis der eigenen Identität im alltäglichen Leben sowie zu schwerwiegenden Nachteilen beruflicher, administrativer und privater Art.

Diese Weigerung der Anerkennung und der für den Betroffenen bestehende Zwang, ein zweites Verfahren zur Änderung der Geschlechtsidentität im Herkunftsmitgliedstaat anzustrengen (mit ungewissem Ausgang), sind nicht gerechtfertigt. Im Übrigens sind die Staaten nach der Rechtsprechung des EGMR verpflichtet, ein klares und vorhersehbares Verfahren für die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität vorzusehen, das die Änderung des Geschlechts ermöglicht.

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Aufsatz
Entwicklungen im europäischen Personen-, Familien- und Erbrecht 2023-2024
Christian Kohler / Walter Pintens, FamRZ 2024, 1413

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EuGH PM Nr. 158 vom 4.10.2024
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