14.10.2024

Zur Beweiswürdigung bei einem Auffahrunfall

Der Kläger hat das Unfallgeschehen aus seiner Erinnerung heraus nochmals geschildert und dabei alle Fragen detailliert beantwortet. Seine Schilderung entsprach genau dem Vortrag aus der Klageschrift. Der Senat hielt es für ausgeschlossen, dass der Kläger, der bis zu seiner Pensionierung Berufsrichter war, und seine Ehefrau wider besseres Wissen und abgestimmt den zuständigen Gerichten eine falsche Unfallversion präsentiert hatten.

OLG Schleswig-Holstein v. 8.10.2024 - 7 U 30/24
Der Sachverhalt:
Der Kläger begehrte von den Beklagten restlichen Schadensersatz i.H.v. rund 7.51 € aufgrund eines Verkehrsunfalles, der sich am 27.4.2022 gegen 11:30 Uhr ereignet hatte. Dem Kläger ist ein Gesamtschaden i.H.v. 14.273 € (Reparaturkosten, Mietwagenkosten, Nutzungsausfall, Sachverständigenkosten sowie Wertminderung) entstanden. Hiervon erstattete die Beklagte zu 1) - ausgehend von einer 50 % Haftungsquote - vorgerichtlich bereits einen Betrag von 6.706 €.

Der Kläger behauptete, er habe mindestens eine Minute lang hinter dem Beklagtenfahrzeug (Mercedes-Benz Sprinter) gestanden, als letzteres plötzlich und unerwartet rückwärts und ungebremst in das klägerische Fahrzeug gefahren sei. Die Beklagten hingegen behaupteten, der Beklagte zu 2) habe wegen einer Katze unerwartet bremsen müssen und das klägerische Fahrzeug sei entweder aufgrund überhöhter Geschwindigkeit oder Unachtsamkeit auf das Beklagtenfahrzeug aufgefahren.

Das LG hat der auf Klage nur im Umfang von 430 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die Haftung der Beklagten sei nur im Umfang einer Quote von 50 % gerechtfertigt. Ausgehend von dem unstreitigen Gesamtschaden i.H.v. 14.273 € errechne sich bei einer 50 %-Haftung ein Betrag 7.136 €, der bereits durch die vorgerichtliche Zahlung der Beklagten zu 1) i.H.v. 6.706 € überwiegend erloschen sei.

Auf die Berufung des Klägers hat das OLG das Urteil des LG teilweise geändert und die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, über den bereits ausgeurteilten Betrag hinaus weitere € 7.051 € zu zahlen.

Die Gründe:
Die Beklagten sind verpflichtet, dem Kläger den unfallbedingten Schaden gem. §§ 7, 17, 18 StVG, 9 Abs. 5 StVO i.V.m. § 115 VVG in vollem Umfang zu ersetzen.

Da der Unfall für keine der Parteien ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG gewesen war, hing im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden war. Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist dabei eine Abwägung und Gewichtung der jeweiligen Verursachungsbeiträge vorzunehmen, wobei eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eine genaue Klärung des Unfallhergangs geboten ist (BGH, Urt. v. 28.2.2012, VI ZR 10/11).

Der Senat war davon überzeugt, dass - entsprechend dem Vortrag des Klägers - der Beklagte zu 2) beim Rückwärtsfahren mit dem klägerischen Fahrzeug kollidiert war und dadurch den geltend gemachten Schaden verursacht hatte. Er hatte somit die erforderliche Sorgfalt nach § 9 Abs. 5 StVO missachtet. Beim Rückwärtsfahren muss sich der Fahrer nämlich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt hinter den groben Sorgfaltspflichtverstoß des Beklagten zurück.

Die klägerische Unfallversion hat den Senat überzeugt. Der Kläger hat das Unfallgeschehen aus seiner Erinnerung heraus nochmals geschildert und dabei alle Fragen detailliert beantwortet. Seine Schilderung entsprach genau dem Vortrag aus der Klageschrift. Der Senat hielt es für ausgeschlossen, dass der Kläger, der bis zu seiner Pensionierung Berufsrichter war, und seine Ehefrau wider besseres Wissen und abgestimmt den zuständigen Gerichten eine falsche Unfallversion präsentiert hatten. Beide leben in geordneten Verhältnissen und hätten es nicht nötig, wegen eines durchaus überschaubaren Blechschadens hier einen möglichen Prozessbetrug zu begehen. Die Beklagten sind deshalb zu 100 % dem Grunde nach zum Schadenersatz verpflichtet. Die mit der Berufung geltend gemachten weiteren € 7.051 sind deshalb gem. § 249 ff. BGB begründet.

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Kommentierung | BGB
§ 249 Art und Umfang des Schadensersatzes
Ebert in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023

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