Zur erbrechtlichen Bindung des überlebenden Erblassers
OLG Karlsruhe v. 9.12.2024, 14 W 87/24 (Wx)
Der Sachverhalt:
Die Beteiligte zu 1) ist die zweite Ehefrau des Erblasser, der 2021 verstorben ist. Die Eheschließung fand 1983 statt. Der Beteiligte zu 2) ist ein Sohn des Erblassers aus erster Ehe. Die erste Ehefrau ist 1981 vorverstorben. Ein weiterer gemeinsamer Sohn des Erblassers und seiner ersten Ehefrau ist 1998 vorverstorben. Der Erblasser war an der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments aus dem Jahr 1980 beteiligt, in dem es u.a. hieß: "Wir setzen uns gegenseitig zu befreiten Vorerben ein." und "Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen sollen unsere Söhne ... zu je ½ sein." Es folgten noch zwei weitere Testamente aus den Jahren 2007 und 2019, in denen die Söhne keine Erwähnung mehr fanden.
Am 22.4.2022 beantragte die Beteiligte zu 1) einen Erbschein, der sie aufgrund gewillkürter Erbfolge als Alleinerbin nach dem Erblasser ausweisen sollte. Der Erbschein wurde ihr antragsgemäß erteilt. Der Beteiligte zu 2) begehrte daraufhin die Einziehung des ausgestellten Erbscheins. Das lehnte das Nachlassgericht ab. Das Gericht sei zu der Überzeugung gelangt, dass der Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1) im gemeinschaftlichen Testament aus 2019 keine Bindungswirkung aus dem gemeinschaftlichen Testament aus 1980 entgegenstehe.
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) hat das OLG den Beschluss des AG aufgehoben und das Nachlassgericht angewiesen, den Erbschein einzuziehen.
Die Gründe:
Der zugunsten der Beteiligten zu 1) erteilte Erbschein vom 30.5.2022 war unrichtig i.S.d. § 2361 Satz 1 BGB.
Die Beteiligte zu 1) ist nicht Alleinerbin nach dem Erblasser geworden. Ihrer (insoweit gleichlautenden) Einsetzung als Alleinerbin in den gemeinschaftlichen Testamenten aus 2007 und 2019 stand die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments aus 1980 entgegen, § 2271 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 BGB. Nach § 2265 BGB kann durch Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament errichtet werden. Zur Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments nach § 2247 BGB genügt es, wenn einer der Ehegatten das Testament in der dort vorgeschriebenen Form errichtet und der andere Ehegatte die gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig mitunterzeichnet, § 2267 Satz 1 BGB.
Bei der Auslegung eines jeden Testaments ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Handelt es sich - wie hier - um ein gemeinschaftliches Testament, ist nach BGH-Rechtsprechung bei der Auslegung stets zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Ehegatten mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Teiles entsprochen hat. Das ist nötig, weil die beiderseitigen Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten nicht nur aufeinander abgestimmt werden, sondern erfahrungsgemäß nicht selten auch inhaltlich abgesprochen und insofern Ergebnis und Ausdruck eines gemeinsam gefassten Entschlusses beider Teile sind.
Die in einem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Formulierungen "Wir setzen uns gegenseitig zu befreiten Vorerben ein." und "Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen sollen unsere Söhne ... zu je ½ sein." legen eine Auslegung dahingehend nahe, dass hierin die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft nach dem Erstversterbenden und zugleich die Einsetzung der gemeinsamen Kinder zu gleichberechtigten Vollerben nach dem Letztversterbenden zu sehen ist. Im Fall der gegenseitigen Einsetzung des längerlebenden Ehegatten als (gesamt-)befreiten Vorerben besteht ein Erfahrungssatz, dass ein Ehegatte den anderen nur deswegen als befreiten Vorerben eingesetzt hat, weil er darauf vertraut hat, dass das beim Tod des Überlebenden verbliebene gemeinsame Vermögen auf die gemeinsamen Kinder übergehen wird.
Infolgedessen war hier davon auszugehen, dass der Erblasser und dessen vorverstorbene erste Ehefrau in dem gemeinschaftlichen Testament aus 1980 hinsichtlich des Vermögens des Erstversterbenden (befreite) Vor- und Nacherbschaft, hinsichtlich des Vermögens des Letztversterbenden die Einsetzung der gemeinsamen Kinder zu gleichberechtigten Vollerben angeordnet hatten. Bei der Einsetzung der beiden Söhne als gleichberechtigte Erben nach dem Letztversterbenden handelte es sich um eine wechselbezügliche Verfügung i.S.d. § 2070 Abs. 1 BGB. Mit dem Tode der ersten Ehefrau des Erblassers trat die in § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB angeordnete erbrechtliche Bindung des überlebenden Erblassers an die wechselbezügliche letztwillige Verfügung zugunsten der gemeinsamen Söhne ein, die ihn hinderte, diese noch wirksam zu widerrufen oder abweichend von ihr letztwillig zu verfügen.
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Landesrechtsprechung Baden-Württemberg
Die Beteiligte zu 1) ist die zweite Ehefrau des Erblasser, der 2021 verstorben ist. Die Eheschließung fand 1983 statt. Der Beteiligte zu 2) ist ein Sohn des Erblassers aus erster Ehe. Die erste Ehefrau ist 1981 vorverstorben. Ein weiterer gemeinsamer Sohn des Erblassers und seiner ersten Ehefrau ist 1998 vorverstorben. Der Erblasser war an der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments aus dem Jahr 1980 beteiligt, in dem es u.a. hieß: "Wir setzen uns gegenseitig zu befreiten Vorerben ein." und "Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen sollen unsere Söhne ... zu je ½ sein." Es folgten noch zwei weitere Testamente aus den Jahren 2007 und 2019, in denen die Söhne keine Erwähnung mehr fanden.
Am 22.4.2022 beantragte die Beteiligte zu 1) einen Erbschein, der sie aufgrund gewillkürter Erbfolge als Alleinerbin nach dem Erblasser ausweisen sollte. Der Erbschein wurde ihr antragsgemäß erteilt. Der Beteiligte zu 2) begehrte daraufhin die Einziehung des ausgestellten Erbscheins. Das lehnte das Nachlassgericht ab. Das Gericht sei zu der Überzeugung gelangt, dass der Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1) im gemeinschaftlichen Testament aus 2019 keine Bindungswirkung aus dem gemeinschaftlichen Testament aus 1980 entgegenstehe.
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) hat das OLG den Beschluss des AG aufgehoben und das Nachlassgericht angewiesen, den Erbschein einzuziehen.
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Die Beteiligte zu 1) ist nicht Alleinerbin nach dem Erblasser geworden. Ihrer (insoweit gleichlautenden) Einsetzung als Alleinerbin in den gemeinschaftlichen Testamenten aus 2007 und 2019 stand die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments aus 1980 entgegen, § 2271 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 BGB. Nach § 2265 BGB kann durch Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament errichtet werden. Zur Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments nach § 2247 BGB genügt es, wenn einer der Ehegatten das Testament in der dort vorgeschriebenen Form errichtet und der andere Ehegatte die gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig mitunterzeichnet, § 2267 Satz 1 BGB.
Bei der Auslegung eines jeden Testaments ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Handelt es sich - wie hier - um ein gemeinschaftliches Testament, ist nach BGH-Rechtsprechung bei der Auslegung stets zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Ehegatten mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Teiles entsprochen hat. Das ist nötig, weil die beiderseitigen Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten nicht nur aufeinander abgestimmt werden, sondern erfahrungsgemäß nicht selten auch inhaltlich abgesprochen und insofern Ergebnis und Ausdruck eines gemeinsam gefassten Entschlusses beider Teile sind.
Die in einem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Formulierungen "Wir setzen uns gegenseitig zu befreiten Vorerben ein." und "Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen sollen unsere Söhne ... zu je ½ sein." legen eine Auslegung dahingehend nahe, dass hierin die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft nach dem Erstversterbenden und zugleich die Einsetzung der gemeinsamen Kinder zu gleichberechtigten Vollerben nach dem Letztversterbenden zu sehen ist. Im Fall der gegenseitigen Einsetzung des längerlebenden Ehegatten als (gesamt-)befreiten Vorerben besteht ein Erfahrungssatz, dass ein Ehegatte den anderen nur deswegen als befreiten Vorerben eingesetzt hat, weil er darauf vertraut hat, dass das beim Tod des Überlebenden verbliebene gemeinsame Vermögen auf die gemeinsamen Kinder übergehen wird.
Infolgedessen war hier davon auszugehen, dass der Erblasser und dessen vorverstorbene erste Ehefrau in dem gemeinschaftlichen Testament aus 1980 hinsichtlich des Vermögens des Erstversterbenden (befreite) Vor- und Nacherbschaft, hinsichtlich des Vermögens des Letztversterbenden die Einsetzung der gemeinsamen Kinder zu gleichberechtigten Vollerben angeordnet hatten. Bei der Einsetzung der beiden Söhne als gleichberechtigte Erben nach dem Letztversterbenden handelte es sich um eine wechselbezügliche Verfügung i.S.d. § 2070 Abs. 1 BGB. Mit dem Tode der ersten Ehefrau des Erblassers trat die in § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB angeordnete erbrechtliche Bindung des überlebenden Erblassers an die wechselbezügliche letztwillige Verfügung zugunsten der gemeinsamen Söhne ein, die ihn hinderte, diese noch wirksam zu widerrufen oder abweichend von ihr letztwillig zu verfügen.
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