Zur originären Zuständigkeit des Einzelrichters
BGH v. 23.4.2024 - VIII ZB 75/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte die Beklagten auf Räumung und Herausgabe einer von diesen gemieteten Wohnung in Anspruch genommen. Er hat den geltend gemachten Anspruch auf vorgerichtliche Kündigungserklärungen sowie auf eine Kündigung gestützt, die sein Prozessbevollmächtigter in einem Schriftsatz während des Rechtsstreits erklärt hatte. Dieser Schriftsatz wurde über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) des Prozessbevollmächtigten des Klägers beim AG eingereicht und vom Gericht nebst Prüfvermerk über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten an dessen beA übermittelt.
Die Parteien haben den Rechtsstreit in der Hauptsache durch einen gerichtlichen Vergleich beendet. Das AG hat die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs gegeneinander aufgehoben. Das LG hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten durch die mit drei Mitgliedern besetzte Kammer zurückgewiesen. Es hat die Rechtsbeschwerde hinsichtlich der Frage zugelassen, ob eine Kündigungserklärung, die - wie hier - in einem mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen Anwaltsschriftsatz erfolgt, per beA an das Gericht übermittelt und von diesem über EGVP an das beA des Prozessbevollmächtigten des Kündigungsadressaten versandt worden ist, dem Formerfordernis gem. § 568 Abs. 1, § 126 Abs. 3, § 126a BGB entspricht.
Der BGH hat den Beschluss des LG aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an den nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen Einzelrichter des Beschwerdegerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Der angefochtene Beschluss unterlag bereits deshalb der Aufhebung, weil das Beschwerdegericht - was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten war - unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch den originär zuständigen Einzelrichter, sondern trotz einer nicht (wirksam) erfolgten Übertragung des Verfahrens gem. § 568 Satz 2 ZPO durch die Kammer entschieden hatte (vgl. BGH, Beschl. v. 12.4.2023 - VII ZB 33/22; v. 24.5.2023 - VII ZB 73/21).
Gem. § 568 Satz 1 ZPO entscheidet das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen worden ist. Hier hatte der Amtsrichter die mit der sofortigen Beschwerde angefochtene Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO getroffen. In einem solchen Fall ist die Kammer (§ 75 GVG) gem. § 568 Satz 2 ZPO nur dann zur Entscheidung über die Beschwerde berufen, wenn der Einzelrichter durch eine gesonderte Entscheidung das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung übertragen hat. Dies setzt einen entsprechenden Beschluss des Einzelrichters voraus.
An einem solchen Beschluss fehlte es allerdings im Streitfall. Vielmehr hatte die Kammer mit Beschluss vom 23.10.2023 das Verfahren auf sich selbst zur Entscheidung übertragen. Das war verfahrensfehlerhaft. § 568 Satz 3 ZPO, wonach auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung ein Rechtsmittel nicht gestützt werden kann, stand der Erheblichkeit des dem Beschwerdegericht unterlaufenen Verfahrensfehlers hier nicht entgegen. Angesichts dieses absoluten Rechtsbeschwerdegrundes war es unerheblich, ob sich der angefochtene Beschluss aus anderen Gründen als richtig darstellte.
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Der Kläger hatte die Beklagten auf Räumung und Herausgabe einer von diesen gemieteten Wohnung in Anspruch genommen. Er hat den geltend gemachten Anspruch auf vorgerichtliche Kündigungserklärungen sowie auf eine Kündigung gestützt, die sein Prozessbevollmächtigter in einem Schriftsatz während des Rechtsstreits erklärt hatte. Dieser Schriftsatz wurde über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) des Prozessbevollmächtigten des Klägers beim AG eingereicht und vom Gericht nebst Prüfvermerk über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten an dessen beA übermittelt.
Die Parteien haben den Rechtsstreit in der Hauptsache durch einen gerichtlichen Vergleich beendet. Das AG hat die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs gegeneinander aufgehoben. Das LG hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten durch die mit drei Mitgliedern besetzte Kammer zurückgewiesen. Es hat die Rechtsbeschwerde hinsichtlich der Frage zugelassen, ob eine Kündigungserklärung, die - wie hier - in einem mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen Anwaltsschriftsatz erfolgt, per beA an das Gericht übermittelt und von diesem über EGVP an das beA des Prozessbevollmächtigten des Kündigungsadressaten versandt worden ist, dem Formerfordernis gem. § 568 Abs. 1, § 126 Abs. 3, § 126a BGB entspricht.
Der BGH hat den Beschluss des LG aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an den nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen Einzelrichter des Beschwerdegerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Der angefochtene Beschluss unterlag bereits deshalb der Aufhebung, weil das Beschwerdegericht - was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten war - unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch den originär zuständigen Einzelrichter, sondern trotz einer nicht (wirksam) erfolgten Übertragung des Verfahrens gem. § 568 Satz 2 ZPO durch die Kammer entschieden hatte (vgl. BGH, Beschl. v. 12.4.2023 - VII ZB 33/22; v. 24.5.2023 - VII ZB 73/21).
Gem. § 568 Satz 1 ZPO entscheidet das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen worden ist. Hier hatte der Amtsrichter die mit der sofortigen Beschwerde angefochtene Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO getroffen. In einem solchen Fall ist die Kammer (§ 75 GVG) gem. § 568 Satz 2 ZPO nur dann zur Entscheidung über die Beschwerde berufen, wenn der Einzelrichter durch eine gesonderte Entscheidung das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung übertragen hat. Dies setzt einen entsprechenden Beschluss des Einzelrichters voraus.
An einem solchen Beschluss fehlte es allerdings im Streitfall. Vielmehr hatte die Kammer mit Beschluss vom 23.10.2023 das Verfahren auf sich selbst zur Entscheidung übertragen. Das war verfahrensfehlerhaft. § 568 Satz 3 ZPO, wonach auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung ein Rechtsmittel nicht gestützt werden kann, stand der Erheblichkeit des dem Beschwerdegericht unterlaufenen Verfahrensfehlers hier nicht entgegen. Angesichts dieses absoluten Rechtsbeschwerdegrundes war es unerheblich, ob sich der angefochtene Beschluss aus anderen Gründen als richtig darstellte.
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