Zur Verletzung rechtlichen Gehörs durch Verzicht auf erneute Vernehmung in der Berufungsinstanz
BGH v. 28.3.2023 - VI ZR 368/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen eines Wasserschadens in einem Werksgebäude nach Arbeiten der Beklagten an der Sprinkleranlage.
Die Beklagte ist ein Unternehmen im Bereich des technischen Brandschutzes und erhielt von der Klägerin den Auftrag zu Arbeiten an der Sprinkleranlage. Die Beklagte führte die Arbeiten zwischen dem 1.8. und 17.9.2015 aus. Dabei kappte der damit beauftragte Monteur L. am 17.9.2015 im dritten Obergeschoß des Gebäudes die vorhandene Bestandsleitung der Sprinkleranlage. Der Trennschnitt an der Leitung lag unmittelbar am Unterzug der Decke, es war deshalb nicht möglich, am Rohrende die erforderliche Nut für die Verschlusskappe zu drücken, deshalb fügte L. ein 240 mm langes Übergangsrohrstück an die Schnittstelle an und zur Verbindung des Übergangsstückes mit der Bestandsrohrleitung eine Rohrkupplung (auch als Rohrschelle bezeichnet) und ein Rohrlager. Auf das Ende des eingesetzten Übergangsstückes setzte L. eine Kappe zum Verschluss der Leitung, befüllte die zuvor abgelassene Sprinkleranlage wieder mit Wasser und kontrollierte die Dichtigkeit.
Der bauleitende Monteur der Beklagten K. kontrollierte die Arbeiten am gleichen Abend. Die Abnahme erfolgte am 17.9.2015. Die Streithelferin war damit beauftragt, eine neue Sprinkleranlage an die Bestandsrohre anzuschließen, wozu die Neuverlegung der neuen Sprinkleranlage und deren Anschluss an die Bestandsleitung, also an das von der Beklagten hergestellte Rohrende, gehörte. Die Streithelferin schloss die von ihr verlegte neue Sprinkleranlage an das von der Beklagten hergestellte getrennte Rohrstück an, am 7.12.2015 fand eine erfolgreiche Druckprobe statt.
Am 7.1.2016 traten im Bereich der Teeküche im dritten Obergeschoß große Mengen Wasser aus und verteilten sich im Gebäude. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte bei den beauftragten Arbeiten ein ungeeignetes Verbindungsstück verwendet hat, das nach Inbetriebnahme der Leitung zu einem Ringspalt zwischen altem Rohr und Verlängerungsstück führte, aus dem rd. 90.000 Liter Wasser austraten und in dem Gebäude einen umfassenden Sanierungsbedarf auslösten.
Das LG gab der Klage nach durchgeführter Beweisaufnahme teilweise statt. Es ging von der Verjährung vertraglicher Schadensersatzansprüche aus, nahm aber einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gem. §§ 831 Abs. 1, 823 BGB gegen die Beklagte an und erklärte den Anspruch der Klägerin auf Ersatz des Schadens infolge des Wassereintritts dem Grunde nach für gerechtfertigt. Das OLG wies die Klage ohne weitere Beweisaufnahme ab. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH das das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das OLG trotz der kritischen schriftsätzlichen Auseinandersetzung der Klägerin mit der Aussage des Zeugen K. nach dessen Vernehmung durch das LG ohne eigene Beweisaufnahme entschieden und den Zeugen K. nicht selbst vernommen hat, ohne auf diese Ausführungen einzugehen. Damit hat es den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen einer Partei ausdrücklich auseinanderzusetzen. Vielmehr ist auch ohne ausdrückliche Erwähnung von Parteivorbringen grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann aber dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat.
So liegt es hier. Die Klägerin hat nach der Vernehmung der Zeugen L. und K. durch das LG geltend gemacht, dass die Aussage des K. von groben Widersprüchen durchzogen gewesen sei und ihm erkennbar nicht an einer wahrheitsgemäßen Aussage, sondern vor allem daran gelegen sei, möglichst alles so darzustellen, dass der Beklagten kein Vorwurf zu machen sei. Die Klägerin hat u.a. darauf hingewiesen, dass der Zeuge K. zunächst gesagt habe, dass der Zeuge L. das weitere Rohrstück angesetzt habe mit einer Rohrkupplung und dies alles selbständig gemacht habe, er ihm dazu keine Anweisung erteilt habe. Danach habe er klargestellt, dass er L. gesagt habe, wo er das Rohr abtrennen solle und dass er es mit dieser verbauten Rohrkupplung verbinden solle. Ausweislich des Protokolls der Vernehmung wechselte die Aussage des K. von der Angabe, dass L. alles allein gemacht habe und er ihm keine Anweisung erteilt habe, zu der Angabe, dass ihm gesagt worden sei, wo er das Rohr abtrennen solle und dass er es mit der verbauten Rohrkupplung verbinden solle, und dann zu der Angabe, er habe ihn angewiesen, das Rohr an einer bestimmten Stelle abzuschneiden und ein weiteres Rohrteil mit einer Rohrkupplung zu verbinden, er habe ihm nicht gesagt, welche Rohrkupplung konkret er nehmen solle.
Das OLG hat dennoch zur Begründung seines Verzichts auf eine eigene Beweisaufnahme ausgeführt, Anhaltspunkte, die die Glaubhaftigkeit der Aussagen und die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Frage stellen könnten, seien weder aus dem Protokoll erkennbar bzw. im Protokoll dokumentiert noch würden diese von den Parteien aufgeworfen. Die Parteien stellten die Glaubhaftigkeit der Aussagen und die Glaubwürdigkeit der Zeugen nicht in Frage. Lücken oder weiter aufklärungsbedürftige Fragen in den Zeugenaussagen lägen nicht vor. Diese Ausführungen lassen sich nur dadurch erklären, dass es die Kritik der Klägerin an der Aussage des K. nicht zur Kenntnis genommen hat.
Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das OLG nach der Würdigung dieses Vortrages den oder die Zeugen selbst vernommen hätte und zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre, denn es stützt seine Überzeugung, den Monteuren sei die Notwendigkeit des Einbaus einer zugfesten Rohkupplung vor dem Einbau bekannt gewesen, auch auf die Aussage des Zeugen K.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
Gehörsverletzung durch Absehen von erneuter Vernehmung eines Zeugen
BGH vom 25.10.2022 - VI ZR 382/21
MDR 2023, 118
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BGH online
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen eines Wasserschadens in einem Werksgebäude nach Arbeiten der Beklagten an der Sprinkleranlage.
Die Beklagte ist ein Unternehmen im Bereich des technischen Brandschutzes und erhielt von der Klägerin den Auftrag zu Arbeiten an der Sprinkleranlage. Die Beklagte führte die Arbeiten zwischen dem 1.8. und 17.9.2015 aus. Dabei kappte der damit beauftragte Monteur L. am 17.9.2015 im dritten Obergeschoß des Gebäudes die vorhandene Bestandsleitung der Sprinkleranlage. Der Trennschnitt an der Leitung lag unmittelbar am Unterzug der Decke, es war deshalb nicht möglich, am Rohrende die erforderliche Nut für die Verschlusskappe zu drücken, deshalb fügte L. ein 240 mm langes Übergangsrohrstück an die Schnittstelle an und zur Verbindung des Übergangsstückes mit der Bestandsrohrleitung eine Rohrkupplung (auch als Rohrschelle bezeichnet) und ein Rohrlager. Auf das Ende des eingesetzten Übergangsstückes setzte L. eine Kappe zum Verschluss der Leitung, befüllte die zuvor abgelassene Sprinkleranlage wieder mit Wasser und kontrollierte die Dichtigkeit.
Der bauleitende Monteur der Beklagten K. kontrollierte die Arbeiten am gleichen Abend. Die Abnahme erfolgte am 17.9.2015. Die Streithelferin war damit beauftragt, eine neue Sprinkleranlage an die Bestandsrohre anzuschließen, wozu die Neuverlegung der neuen Sprinkleranlage und deren Anschluss an die Bestandsleitung, also an das von der Beklagten hergestellte Rohrende, gehörte. Die Streithelferin schloss die von ihr verlegte neue Sprinkleranlage an das von der Beklagten hergestellte getrennte Rohrstück an, am 7.12.2015 fand eine erfolgreiche Druckprobe statt.
Am 7.1.2016 traten im Bereich der Teeküche im dritten Obergeschoß große Mengen Wasser aus und verteilten sich im Gebäude. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte bei den beauftragten Arbeiten ein ungeeignetes Verbindungsstück verwendet hat, das nach Inbetriebnahme der Leitung zu einem Ringspalt zwischen altem Rohr und Verlängerungsstück führte, aus dem rd. 90.000 Liter Wasser austraten und in dem Gebäude einen umfassenden Sanierungsbedarf auslösten.
Das LG gab der Klage nach durchgeführter Beweisaufnahme teilweise statt. Es ging von der Verjährung vertraglicher Schadensersatzansprüche aus, nahm aber einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gem. §§ 831 Abs. 1, 823 BGB gegen die Beklagte an und erklärte den Anspruch der Klägerin auf Ersatz des Schadens infolge des Wassereintritts dem Grunde nach für gerechtfertigt. Das OLG wies die Klage ohne weitere Beweisaufnahme ab. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH das das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das OLG trotz der kritischen schriftsätzlichen Auseinandersetzung der Klägerin mit der Aussage des Zeugen K. nach dessen Vernehmung durch das LG ohne eigene Beweisaufnahme entschieden und den Zeugen K. nicht selbst vernommen hat, ohne auf diese Ausführungen einzugehen. Damit hat es den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen einer Partei ausdrücklich auseinanderzusetzen. Vielmehr ist auch ohne ausdrückliche Erwähnung von Parteivorbringen grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann aber dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat.
So liegt es hier. Die Klägerin hat nach der Vernehmung der Zeugen L. und K. durch das LG geltend gemacht, dass die Aussage des K. von groben Widersprüchen durchzogen gewesen sei und ihm erkennbar nicht an einer wahrheitsgemäßen Aussage, sondern vor allem daran gelegen sei, möglichst alles so darzustellen, dass der Beklagten kein Vorwurf zu machen sei. Die Klägerin hat u.a. darauf hingewiesen, dass der Zeuge K. zunächst gesagt habe, dass der Zeuge L. das weitere Rohrstück angesetzt habe mit einer Rohrkupplung und dies alles selbständig gemacht habe, er ihm dazu keine Anweisung erteilt habe. Danach habe er klargestellt, dass er L. gesagt habe, wo er das Rohr abtrennen solle und dass er es mit dieser verbauten Rohrkupplung verbinden solle. Ausweislich des Protokolls der Vernehmung wechselte die Aussage des K. von der Angabe, dass L. alles allein gemacht habe und er ihm keine Anweisung erteilt habe, zu der Angabe, dass ihm gesagt worden sei, wo er das Rohr abtrennen solle und dass er es mit der verbauten Rohrkupplung verbinden solle, und dann zu der Angabe, er habe ihn angewiesen, das Rohr an einer bestimmten Stelle abzuschneiden und ein weiteres Rohrteil mit einer Rohrkupplung zu verbinden, er habe ihm nicht gesagt, welche Rohrkupplung konkret er nehmen solle.
Das OLG hat dennoch zur Begründung seines Verzichts auf eine eigene Beweisaufnahme ausgeführt, Anhaltspunkte, die die Glaubhaftigkeit der Aussagen und die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Frage stellen könnten, seien weder aus dem Protokoll erkennbar bzw. im Protokoll dokumentiert noch würden diese von den Parteien aufgeworfen. Die Parteien stellten die Glaubhaftigkeit der Aussagen und die Glaubwürdigkeit der Zeugen nicht in Frage. Lücken oder weiter aufklärungsbedürftige Fragen in den Zeugenaussagen lägen nicht vor. Diese Ausführungen lassen sich nur dadurch erklären, dass es die Kritik der Klägerin an der Aussage des K. nicht zur Kenntnis genommen hat.
Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das OLG nach der Würdigung dieses Vortrages den oder die Zeugen selbst vernommen hätte und zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre, denn es stützt seine Überzeugung, den Monteuren sei die Notwendigkeit des Einbaus einer zugfesten Rohkupplung vor dem Einbau bekannt gewesen, auch auf die Aussage des Zeugen K.
Rechtsprechung:
Gehörsverletzung durch Absehen von erneuter Vernehmung eines Zeugen
BGH vom 25.10.2022 - VI ZR 382/21
MDR 2023, 118
Alles nachzulesen in unserem umfassenden Aktionsmodul Zivilrecht:
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. 6 Module vereint mit führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Neu: Online-Unterhaltsrechner. Jetzt zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!