Zwei unterschiedliche Verfahrensgegenstände bei Zeugnisverweigerung des Zeugen aus persönlichen und sachlichen Gründen
BGH v. 20.7.2023 - IX ZB 7/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem am 15.7.2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Zeugen. Er macht gegen den Beklagten, bei dem es sich um den Ehemann der Tante des Zeugen handelt, einen Zahlungsanspruch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung geltend. Die Tante des Zeugen (Streithelferin) ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten. Der Zeuge veräußerte mit notariellem Kaufvertrag vom 16.4.2014 seinen Miteigentumsanteil an einem Grundstück und wies die Erwerberin über den beurkundenden Notar an, einen Teil des Kaufpreises i.H.v. 80.000 € auf ein Gemeinschaftskonto der Streithelferin und des Beklagten zu überweisen. Im Insolvenzverfahren verschwieg der Zeuge gegenüber dem Kläger zunächst den Verbleib des Kaufpreises.
Der Kläger geht von der Zahlungsunfähigkeit des Zeugen bereits vor Abschluss des Grundstückskaufvertrags aus und hat die Zahlung auf das Gemeinschaftskonto gegenüber dem Beklagten insolvenzrechtlich nach § 133 Abs. 1 InsO mit der Behauptung angefochten, der Zeuge habe einen Zugriff seiner Gläubiger auf die Kaufpreiszahlung durch die Umleitung auf ein fremdes Konto verhindern wollen; zu diesem Zweck habe ihm der Beklagte das Konto zur Verfügung gestellt. Zum Beweis für diese Behauptung berief sich der Kläger auf das Zeugnis des Rechtsbeschwerdeführers. Das LG lud den Zeugen unter Angabe des Beweisthemas "Inhalt der Vereinbarungen zwischen dem Schuldner und dem Beklagten betreffend die Überweisung von 80.000 € an den Beklagten". Dieser verweigerte das Zeugnis in einer schriftlich eingereichten Erklärung mit der Begründung, dass er durch eine Aussage sich sowie den Beklagten und die Streithelferin als seine Angehörigen belasten könne.
Das LG nahm daraufhin von einer Ladung und Befragung des Zeugen Abstand und erklärte dessen Zeugnisverweigerung für rechtmäßig. In den Gründen seines Zwischenurteils bejahte das LG ein Verweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO, verneinte jedoch die Voraussetzungen des § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Im Tenor des Zwischenurteils sprach das LG kein Teilunterliegen des Zeugen aus; die Kosten erlegte es vollständig dem Kläger auf. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers änderte das OLG das Zwischenurteil ab und erklärte die Zeugnisverweigerung - und zwar sowohl nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als auch nach § 384 Nr. 2 ZPO - für unrechtmäßig. Auf die Rechtsbeschwerde des Zeugen hob der BGH den Beschluss des OLG insoweit auf, als das OLG ein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO für unberechtigt erklärt hat, wies die auf diesen Weigerungsgrund bezogene weitergehende Rechtsbeschwerde zurück und verwarf die Rechtsbeschwerde im Übrigen als unzulässig.
Die Gründe:
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Zeuge mit ihr seinen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit seiner Zeugnisverweigerung nach § 384 Nr. 2 Fall 2 ZPO weiterverfolgt. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde nur beschränkt auf den Weigerungsgrund des § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zugelassen. Die wirksame Beschränkung der Zulassung hat zur Folge, dass der Streitstoff, soweit er von der Zulassung nicht erfasst wird, nicht der Prüfungskompetenz des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegt.
Die Beschränkung der Zulassung auf den Weigerungsgrund des § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist wirksam. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde kann zwar nicht auf einzelne Rechtsfragen oder Anspruchselemente beschränkt werden, wohl aber auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und damit abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs, auf den auch die Partei selbst ihre Rechtsbeschwerde beschränken könnte. Dafür ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der von der Zulassungsbeschränkung betroffene Teil des Streits in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Prozessstoff beurteilt werden kann und kein Widerspruch zwischen dem noch zur Entscheidung stehenden und dem unanfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann. Nach diesem Maßstab ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde im Streitfall wirksam beschränkt worden. Bei dem Weigerungsgrund nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO handelt es sich um einen gegenüber dem Weigerungsgrund nach § 384 Nr. 2 ZPO rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Streitstoffs, auf den der Zeuge selbst seine Rechtsbeschwerde hätte beschränken können.
Soweit sich der Zeuge gegen die Versagung des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO wendet, ist die Rechtsbeschwerde zulässig. Sie führt insoweit zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das OLG durfte über den Weigerungsgrund keine Entscheidung treffen, weil dieser in der Beschwerdeinstanz nicht angefallen ist. Mangels einer Erstbeschwerde ist eine Sachentscheidung des Senats über diesen Weigerungsgrund ausgeschlossen. Der Weigerungsgrund nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO war nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Das LG hat ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO verneint und nur ein solches nach § 384 Nr. 2 ZPO bejaht. Gegen diese Entscheidung hat allein der Kläger sofortige Beschwerde eingelegt und eine Abänderung des Zwischenurteils nur insoweit beantragt, als dem Zeugen erstinstanzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO zuerkannt worden ist. Der Zeuge hat das Zwischenurteil hingegen bis zur Entscheidung des OLG am 6.12.2021 nicht (wirksam) angegriffen. Erklärt das erstinstanzliche Gericht die Zeugnisverweigerung nur aus einem der beiden Weigerungsgründe für rechtmäßig, fällt der andere Weigerungsgrund in der Beschwerdeinstanz nur an, wenn der Zeuge insoweit Beschwerde oder Anschlussbeschwerde einlegt.
Mehr zum Thema:
Kommentierung | ZPO
§ 383 Zeugnisverweigerung aus persönlichen Gründen
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022
Kommentierung | ZPO
§ 384 Zeugnisverweigerung aus sachlichen Gründen
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022
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Der Kläger ist Verwalter in dem am 15.7.2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Zeugen. Er macht gegen den Beklagten, bei dem es sich um den Ehemann der Tante des Zeugen handelt, einen Zahlungsanspruch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung geltend. Die Tante des Zeugen (Streithelferin) ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten. Der Zeuge veräußerte mit notariellem Kaufvertrag vom 16.4.2014 seinen Miteigentumsanteil an einem Grundstück und wies die Erwerberin über den beurkundenden Notar an, einen Teil des Kaufpreises i.H.v. 80.000 € auf ein Gemeinschaftskonto der Streithelferin und des Beklagten zu überweisen. Im Insolvenzverfahren verschwieg der Zeuge gegenüber dem Kläger zunächst den Verbleib des Kaufpreises.
Der Kläger geht von der Zahlungsunfähigkeit des Zeugen bereits vor Abschluss des Grundstückskaufvertrags aus und hat die Zahlung auf das Gemeinschaftskonto gegenüber dem Beklagten insolvenzrechtlich nach § 133 Abs. 1 InsO mit der Behauptung angefochten, der Zeuge habe einen Zugriff seiner Gläubiger auf die Kaufpreiszahlung durch die Umleitung auf ein fremdes Konto verhindern wollen; zu diesem Zweck habe ihm der Beklagte das Konto zur Verfügung gestellt. Zum Beweis für diese Behauptung berief sich der Kläger auf das Zeugnis des Rechtsbeschwerdeführers. Das LG lud den Zeugen unter Angabe des Beweisthemas "Inhalt der Vereinbarungen zwischen dem Schuldner und dem Beklagten betreffend die Überweisung von 80.000 € an den Beklagten". Dieser verweigerte das Zeugnis in einer schriftlich eingereichten Erklärung mit der Begründung, dass er durch eine Aussage sich sowie den Beklagten und die Streithelferin als seine Angehörigen belasten könne.
Das LG nahm daraufhin von einer Ladung und Befragung des Zeugen Abstand und erklärte dessen Zeugnisverweigerung für rechtmäßig. In den Gründen seines Zwischenurteils bejahte das LG ein Verweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO, verneinte jedoch die Voraussetzungen des § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Im Tenor des Zwischenurteils sprach das LG kein Teilunterliegen des Zeugen aus; die Kosten erlegte es vollständig dem Kläger auf. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers änderte das OLG das Zwischenurteil ab und erklärte die Zeugnisverweigerung - und zwar sowohl nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als auch nach § 384 Nr. 2 ZPO - für unrechtmäßig. Auf die Rechtsbeschwerde des Zeugen hob der BGH den Beschluss des OLG insoweit auf, als das OLG ein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO für unberechtigt erklärt hat, wies die auf diesen Weigerungsgrund bezogene weitergehende Rechtsbeschwerde zurück und verwarf die Rechtsbeschwerde im Übrigen als unzulässig.
Die Gründe:
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Zeuge mit ihr seinen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit seiner Zeugnisverweigerung nach § 384 Nr. 2 Fall 2 ZPO weiterverfolgt. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde nur beschränkt auf den Weigerungsgrund des § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zugelassen. Die wirksame Beschränkung der Zulassung hat zur Folge, dass der Streitstoff, soweit er von der Zulassung nicht erfasst wird, nicht der Prüfungskompetenz des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegt.
Die Beschränkung der Zulassung auf den Weigerungsgrund des § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist wirksam. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde kann zwar nicht auf einzelne Rechtsfragen oder Anspruchselemente beschränkt werden, wohl aber auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und damit abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs, auf den auch die Partei selbst ihre Rechtsbeschwerde beschränken könnte. Dafür ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der von der Zulassungsbeschränkung betroffene Teil des Streits in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Prozessstoff beurteilt werden kann und kein Widerspruch zwischen dem noch zur Entscheidung stehenden und dem unanfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann. Nach diesem Maßstab ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde im Streitfall wirksam beschränkt worden. Bei dem Weigerungsgrund nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO handelt es sich um einen gegenüber dem Weigerungsgrund nach § 384 Nr. 2 ZPO rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Streitstoffs, auf den der Zeuge selbst seine Rechtsbeschwerde hätte beschränken können.
Soweit sich der Zeuge gegen die Versagung des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO wendet, ist die Rechtsbeschwerde zulässig. Sie führt insoweit zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das OLG durfte über den Weigerungsgrund keine Entscheidung treffen, weil dieser in der Beschwerdeinstanz nicht angefallen ist. Mangels einer Erstbeschwerde ist eine Sachentscheidung des Senats über diesen Weigerungsgrund ausgeschlossen. Der Weigerungsgrund nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO war nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Das LG hat ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO verneint und nur ein solches nach § 384 Nr. 2 ZPO bejaht. Gegen diese Entscheidung hat allein der Kläger sofortige Beschwerde eingelegt und eine Abänderung des Zwischenurteils nur insoweit beantragt, als dem Zeugen erstinstanzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO zuerkannt worden ist. Der Zeuge hat das Zwischenurteil hingegen bis zur Entscheidung des OLG am 6.12.2021 nicht (wirksam) angegriffen. Erklärt das erstinstanzliche Gericht die Zeugnisverweigerung nur aus einem der beiden Weigerungsgründe für rechtmäßig, fällt der andere Weigerungsgrund in der Beschwerdeinstanz nur an, wenn der Zeuge insoweit Beschwerde oder Anschlussbeschwerde einlegt.
Kommentierung | ZPO
§ 383 Zeugnisverweigerung aus persönlichen Gründen
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022
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